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Kultur: Ich, Jammerlappen

„Ich klage mich intellektueller (und physischer) Wichserei an“, bezichtigt sich Frédéric Beigbeder in „Windows on the World“. Da mag man nicht widersprechen.

„Ich klage mich intellektueller (und physischer) Wichserei an“, bezichtigt sich Frédéric Beigbeder in „Windows on the World“. Da mag man nicht widersprechen. Schließlich ist der Autor des Erfolgsromans „39,90“ auch Verlagsmanager und Literaturkritiker, darf also als hinreichend kompetent gelten. „Ich klage mich an“, setzt er im Stile Zolas fort, „mit dieser Selbstanklage nicht nur den Prügeln zuvorkommen zu wollen, die mich erwarten, sondern auch noch Eindruck schinden zu wollen.“ Später schreibt er dann noch, dass er bei einer Weltmeisterschaft der Zyniker gute Chancen auf einen Treppchenplatz hätte.

Nun hat dieser Mann einen Roman geschrieben, der vorgibt, von den letzten Stunden des Texaners Carthew Yorston zu erzählen. Yorston frühstückt mit seinen beiden Söhnen im Restaurant „Windows on the World“ ganz oben im Nordturm des World Trade Centers – dummerweise ausgerechnet am 11. September 2001. Zwischen dem Einschlag des Flugzeugs der American Airlines und dem Einsturz des Gebäudes liegen eindreiviertel Stunden, in denen Romanfigur Yorston Bilanz zieht und bereut, dass ihm Sexabenteuer wichtiger waren als seine Familie. Auch die anderen Eingeschlossenen geben keine klassischen Helden ab, etwa der Finanzmanager und seine Geliebte, die in einer derb beschriebenen Sexszene genau in dem Moment ihren Höhepunkt erreichen, als der Turm zusammenbricht.

Doch mehr Raum als den Eingeschlossenen widmet Beigbeder sich selbst. Er beschreibt die jämmerlichen Leiden eines Franzosen, der sich bei den Recherchen zu dem Buch in New York einen spanischen Akzent zulegt, um im Land der „Freedom Fries“ seine Nationalität zu verschleiern. Seine eitle, larmoyante Selbstbespiegelung vor dem Hintergrund der Tragödie ist eine gezielte Provokation: Kein Wunder, dass eine Welt in die Luft gesprengt wird, unterstreicht Beigbeder, die solche Typen wie mich hervorbringt. Wie in seinen vorigen Büchern beschwört Beigbeder einmal mehr die Weltsicht des ichbezogenen Pessimisten. Vor dem Hintergrund der brennenden Zwillingstürme wirkt das wie geistige Onanie. Immerhin hat sie Verve.

Frédéric Beigbeder: Windows on the World. Roman. Aus dem Französischen von Brigitte Große. Ullstein Verlag, München. 351 Seiten, 22 €.

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