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Kultur: Ich kaufe, also bin ich

Alles neu in Frankfurt: Max Hollein feiert „Shopping“, Udo Kittelmann ordnet das Museum für Moderne Kunst

Von Christina Tilmann

„Einkaufen ist amerikanischer als Denken“, hat Andy Warhol gesagt. Der Kunsttheoretiker Boris Groys spitzt das weiter zu und spricht vom „Shopping als erster Bürgerpflicht“. Und Max Hollein, der neue Leiter der Frankfurter Schirn, erkennt in der vielgeliebten Freizeitbeschäftigung den „Motor unserer Gesellschaft“. In der Tat: Nach den Ereignissen des 11. September 2001 rief Bürgermeister Giuliani die New Yorker auf, einkaufen zu gehen, um den Kreislauf der Normalität wieder in Gang zu setzen.

Dass Shopping Grundkonstante unseres Lebens ist – solches zu erkennen braucht es kaum die Trailer-Mischung populärer Film-Einkaufsszenen von „Breakfast at Tiffany’s“ bis „Pretty Woman“, mit der Hollein den Rundgang einleitet. Auch ist die von der Frankfurter Schirn gemeinsam mit der Tate Liverpool konzipierte Ausstellung nicht die „erste, die sich eingehend mit dem Zusammenhang zwischen Konsumkultur und moderner Kunst befasst“, wie der Kurator Hollein vollmundig ankündigt. Aber es ist wahrscheinlich die erste, die sich mit solcher Opulenz des Themas annimmt.

Konsum ist Teufelszeug

100 Jahre Faszination, Wechselwirkung und Annäherung von bildender Kunst an die Ästhetik, Strategien und Verführungstechniken der Konsumkultur sind ein hoch gestecktes Ziel – und eines, das angesichts der bunten Vielfalt unserer Konsumkultur die Kunst nur allzu gern an sie verrät. Das allein ist Zeichen einer neuen Zeit: Bis in die jüngste Vergangenheit war es in Kreisen der Kunst- und Gesellschaftskritik üblich, Konsum als Verführung, Verirrung, Instrumentalisierung, kurz als Teufelszeug anzusehen. Slavoj Zizek erklärt: „Für mich ist Shopping wie öffentliches Masturbieren.“ Auch Rem Koolhaas, der mit seinem „Harvard Design Guide to Shopping“ alle möglichen Zahlen rund um das Verhältnis von Stadtentwicklung und Konsum kompilierte, propagiert: „In einer Welt, in der sich alles ums Einkaufen dreht,...ist es der wahre Luxus, NICHT einzukaufen.“

Shopping als Spiegel unserer Welt, als identitätsstiftendes Merkmal und als Kunst an sich: „Schließ heute ein Kaufhaus zu, öffne die Tür nach 100 Jahren, und du hast ein Museum moderner Kunst“, hat Andy Warhol gesagt. Auch der 33-jährige Hollein und sein kaum älterer Co-Kurator Christoph Grunenberg würden das so sehen – nur wollen sie keine 100 Jahre warten. Ihre Garanten heißen Ulf Poschardt, Florian Illies und Ally McBeal, und ihre Einstandsausstellung an der Schirn und der Tate Liverpool markiert einen Generationswechsel in der Museumswelt: den Antritt der Generation Golf mit ihrer nostalgisch geprägten und dem Oberflächenglanz verfallenenen Wohlstands-Weltsicht. Das passt zu einer Zeit, in der Museen nach Las Vegas und an den Amsterdamer Flughafen expandieren und in der Motorrad-Shows und Modeschauen integraler Bestandteil der institutionalisierten Kunstwelt werden.

Auch in „Shopping“ kommt der historische Teil mit Eugene Atgets Schaufensterfotografien, Christos verhüllten Schaufensterfronten, Beuys „Wirtschaftswerten“ und dem kurzlebigen „Fluxshop“ von Willem de Ridder wie eine Pflichtaufgabe daher – und hat keine Chance gegenüber der visuellen Präsenz zeitgenössischer Positionen. Der belgische Künstler Guillaume Bijl hat in seiner verführerischen Eingangsinstallation „Neuer Supermarkt“ einen Luxus-Supermarkt eins zu eins ins Museum versetzt, mit vollständigem Sortiment von italienischen Antipasti bis Hygieneartikeln. Auch Damien Hirsts „Pharmacy“ von 1992, ein zentrales Werk der Londoner Tate Modern, das erstmals ins Ausland verliehen wurde, zeigt die aseptische Schönheit einer Großapotheke, die Heilung für alle Übel verspricht.

Geld spielt keine Rolle

Schönheit ist alles, und Geld spielt keine Rolle: Andreas Gurskys hoch gehandelte Monumental-Fotografien feiern die kühle Eleganz eines Prada-Schuhshops in Mintgrün und Altrosa genauso wie die bunte Vielfalt eines „99-Cent"-Paradieses. Jeff Koons verklärt Staubsauger zu Kultobjekten in neonhellen Vitrinen. Auch Sylvie Fleurys ikonenhaft vergoldeter Einkaufswagen oder ihr Altar aus Luxus-Schuhen verherrlichen die Kunst des Kaufens, während Barbara Kruger, die mit ihrem Plakat „I shop therefore I am“ das Credo des Konsums verfasste, sich mit einer Installation an der Kaufhof-Fassade hinauswagt in die reale Konsumwelt der Frankfurter Zeil. Dagegen wirkt der Fluxus-Veteran Ben Vautrier mit seinem neu geschaffenen „Bizarre Bazar“ geradezu rührend altmodisch: Sein scheppernder, schnarrender Höllenraum aus Spielzeug, Puppen und Plakaten ist überzogen mit einem System aus Sprüchen und Slogans, aus Protestnoten und Werbeslogans, und die Botschaft am Ende: „The World is not for sale."

Wenige Meter weiter kann man zum Vergleich die Rückkehr zur klassischen Präsentation besichtigen: In dem von Holleins Vater Hans in Form eines Tortenstücks erbauten Museum für Moderne Kunst hat der neue Leiter Udo Kittelmann gründlich aufgeräumt und Jean-Christophe Ammanns visionäres Konzept halbjährlich wechselnder Ausstellungen zugunsten einer Rückbesinnung auf die Sammlung revidiert. Und das zu Recht: Schöner, reicher, eindrücklicher kam die Sammlung des MMK nie daher, klug ergänzt durch Neuerwerbungen, luftig und großzügig präsentiert. „Das Museum, die Sammlung, der Direktor und seine Liebschaften“ hat Kittelmann die Neupräsentation etwas prätentiös genannt. Dass hier ein Liebhaber am Werke war, sieht man an jeder Ecke.

Klassiker wie Joseph Beuys’ „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“, On Kawaras Datumbilder, die Rumpelkammer des Duos Peter Fischli/David Weiss, Nam June Paiks magisch flackernde Kerze, James Turrells „Lichtbogen“ oder Claes Oldenburgs tigerfellgestreiftes Schlafzimmer sorgen für Kontinuität und haben doch ernst zu nehmende Konkurrenz bekommen. Marcel Odenbachs verstörende Videosequenz, Hans-Peter Feldmanns labyrinthisch buntes Kinderzimmer, Nedko Solakovs abwechselnd schwarz und weiß gestrichenes Zimmer, Carsten Höllers blendende Lichtwand, Gregor Schneiders für 50 Jahre in die Wand eingelassenes „Schwarzes Quadrat“ oder Pierre Bismuths vielsprachiges Dschungelbuch nehmen den Dialog mit den Vorgängern spielend auf. „Honey, I rearranged the Collection“ grüßt der amerikanische Konzept-Künstler Allen Ruppersberg auf einer Plakatwand. Mal sehen, was die nächste Umdekoration bringt.

Shopping, Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 1. Dez., Katalog (Hatje Cantz), 29,99 Euro.

Das Museum, die Sammlung, der Direktor und seine Liebschaften, Museum für Moderne Kunst, bis 16. März 2003.

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