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Kultur: Ich lasse euch los

Meditation über den Tod: „Aujourd’hui“ von Alain Gomis im WETTBEWERB.

Das hätte auch dem Meister des Absurden Luis Buñuel gefallen: Ein Mann geht ins Rathaus zu einem Empfang, der zu Ehren seiner Rückkehr gegeben wird. Leider kommt er zu spät, die anderen Gäste haben sich schon wieder verzogen. „Macht nichts“, versichert man ihm, denn die Honoratioren der Stadt sind noch da und stellen sich vor: Bürgermeister und Kultusminister, Protokollchef und ein Professor der Ethnotheologie. Als keiner mehr weiß, was er noch sagen soll, wird ein Diener beauftragt, dem Gast etwas zu trinken anzubieten. Das Buffet ist ziemlich abgeräumt, leere Trinkbecher treibt der Wind über den Boden der Festwiese, in der Totalen steht unser Mann mit einem Rest Orangensaft verlassen da.

Vor elf Jahren zeigte im Berlinale-Wettbewerb „Little Senegal“ einen Afrikaner in New York auf den Spuren seiner Vorfahren aus dem Senegal. In „Aujourd’hui“ geht die Reise andersherum. Satché kehrt nach einem Jahr aus Nordamerika in sein Heimatdorf im Senegal zurück und erlebt hier seinen letzten Tag, weil es nun einmal feststeht, dass er an diesem „Heute“ sterben wird. Der amerikanische Schauspieler, Sänger und Poet Saul Williams ist Satché, der Menschen und Stationen seines Lebens noch einmal besucht. Die Kamera wechselt häufig zwischen Groß- und Detailaufnahmen seines Gesichtes – Nase, Mund, Stirn, die weit aufgerissenen Augen – und Totalen seiner Umgebung. Er wirkt dabei wie eine Figur aus dem berühmten Traum, in dem man unerkannt seinem eigenen Begräbnis beiwohnt. Er ist eher Beobachter als Teilnehmer am eigenen Leben. Er ist mehr die Projektion der anderen als ein selbstständiges Ich. Wir sehen, wie er mit Freunden durch die Straßen tanzt, wie die Verwandten ihre unterschiedlichen Urteile über ihn abgeben, wie ein Onkel an ihm pantomimisch die Leichenwäsche zu Lebzeiten vornimmt, wie er seine stolze Freundin umgarnt, die aber nichts mehr von ihm wissen will. Alle Episoden können ferne Erinnerung, Traum oder Realität sein, erst am Schluss wird durch eine Reihe von technischen Tricks wie Überblendungen, schnelle Schnitte, Zeitlupe der Eindruck nahegelegt, dass die Liebesszene mit seiner Frau die letzte reale Freude seines Lebens ist.

Gedreht wurde in einem Vorort der Hauptstadt: wenig Folklore, dafür dokumentarische Einblicke in das bewegte Treiben der Straßen und Geschäfte, in Slumviertel und moderne Hochhäuser, in verfallene Neubauten und ärmliche Lehmhütten. Mehr Meditation als Aktion. So hat dieser Film seinen Platz zwischen dem ausgesprochen politisch ausgerichteten Kino über den „Arabischen Frühling“ und dem Starkino à la „Out of Africa“. Helmut Merker

11.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 11.2., 22.30 Uhr (International), 12.2., 20.30 (Haus der Berliner Festspiele)

Helmut Merker

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