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Kultur: Ich mach’ Licht für dich

Sie gab dem Kinder- und Jugendtheater große Kraft. Eine Erinnerung an Franziska Steiof.

Franziska Steiof war eine Persönlichkeit voller Extreme. Ich denke an sie – an einen unglaublich herzlichen, warmen, charmanten, belesenen Menschen mit unschlagbarem norddeutschen Humor. Menschen, denen sie sich verbunden fühlte, erlebten Zugewandtheit und Neugier, Offenheit und klugen Rat noch in den kompliziertesten persönlichen Fragen. Ich bin für dich da, das vermittelte sie ohne Aufdringlichkeit. Schauspieler, Dramaturgen, Theaterleiter, so viele Kollegen können davon Loblieder singen.

Die Begegnung mit ihr forderte von jedem Gesprächspartner volle Präsenz, keine Ausflüchte, ernsthafte Auseinandersetzung, Haltung, Standpunkt, Entschiedenheit. Eine beeindruckende Professionalität im Theaterbetrieb kommt hinzu: Selten war jemand so perfekt vorbereitet, so gut organisiert, so souverän im Moderieren von Konflikten, so genau im Lesen der Texte, so entschieden im Zugriff – und gleichzeitig nach allen Seiten offen und vermittelnd. Sie gründete mit ihrem Ensemble Theaterfamilien auf Zeit, wie ich selten stärkere kennenlernen durfte.

Im Jahr 2000 inszenierte sie zum ersten Mal am Grips Theater: „David und Lisa“, die Geschichte eines hochbegabten Jungen in der Psychiatrie. Sie hat die Darsteller zu einer musikalischen Leichtigkeit und Klarheit des Spiels gebracht, die dem Grips-Stil eine neue Dimension hinzufügte. Seitdem hat sie acht weitere Inszenierungen am Grips herausgebracht, darunter „norway.today“, „Baden gehn“ und „Rosa“. Sie inszenierte Lutz Hübners Jugendstück „Nellie Goodbye“ und erhielt dafür den Theaterpreis Ikarus ebenso wie für die grandiose Adaption des Jugendromans „So lonely“ im Jahr 2011. Diese Inszenierung steht momentan auf dem Spielplan des Grips Theaters wie auch das musikalische Kinderstück „Die fabelhaften Millibillies“ und Peter Lunds Generationenkomödie „Die letzte Kommune“, das im September 2013 eine umjubelte Premiere feierte.

In dieser Inszenierung, ihrer letzten am Grips Theater, soll ein alter Mann ins Heim abgeschoben werden. Stattdessen gründet er noch einmal eine Kommune, wie früher, aber ganz anders, denn es wird eine Mehr-Generationen-WG. Ein WG-Mitglied, die 77-jährige Josi, merkt, dass die Demenz mehr und mehr von ihr Besitz ergreift und wählt den Freitod. Diese Szene wurde im Ensemble heftig diskutiert: Darf man über das Ende des eigenen Lebens selbst bestimmen? Franziska Steiof verteidigte vehement die autonome Entscheidung der Figur und setzte sich durch.

Wie im Leben, so suchte sie in der Kunst die existentielle Auseinandersetzung, sie fand es selbstverständlich, dem Zuschauer im Theater etwas zuzumuten, sie wusste, auch aus eigener Anschauung, dass das Leben von Kindern nur in den seltensten Fällen einem Paradiesgarten gleicht. Sie sorgte sich immer darum, den Zuschauer bei seinen Erfahrungen, Träumen und Abgründen anzusprechen und ästhetisch herauszufordern. Man könnte ihren Stil am besten als „poetischen Realismus“ beschreiben, dem immer eine große Leichtigkeit anhaftete. Sie glaubte an die politische Dimension des Theaters, insbesondere des Kinder- und Jugendtheaters, an die Veränderbarkeit der Welt und die Möglichkeit einzugreifen. Sie liebte am Kinder- und Jugendtheater die Unmöglichkeit zu lügen: Ihr war bewusst, das Kinder und Jugendliche die Lüge schneller bemerken und gnadenloser bestrafen würden als Erwachsene.

Als Autorin tritt Franziska Steiof ebenfalls nachhaltig in Erscheinung. Zu ihren schönsten Stücken gehört „Noah und der große Regen“, in dem sie Kinder ab vier Jahren behutsam und mit viel Humor mit auf die Reise nimmt zur Geschichte der Arche Noah. Unser gemeinsam entwickeltes Theaterstück „Undine, die kleine Meerjungfrau“ war für den Deutschen Kindertheaterpreis und die Kinderstücke Mülheim 2010 nominiert.

Mit ihrer Freien Gruppe DeichArt in Kiel entstanden großartige, skurrile Kult-Abende mit Titeln wie „Schwitzende Männer im Schuhgeschäft“, mit Volker Ludwig entwickelte sie die Stücke „Baden gehn“ und „Rosa“. Ihre intelligenten Klassikerbearbeitungen vom „Schimmelreiter“ und „Michael Kohlhaas“ werden vielfach nachgespielt. Franziska Steiofs Thema ist die Selbstbestimmung des Menschen, der mit seinem Schicksal ringt; ihre Helden kämpfen verzweifelt, hoffen, suchen die Freiheit und sind doch immer gebunden an die Erdenschwere.

In ihrer Fassung der „Schneekönigin“, die sie 2006 für das Junge Schauspielhaus Düsseldorf schrieb und inszenierte, heißt es im Schlusslied: „Wenn du frierst / Und verlierst / Denk dran, was dich wärmen kann / wenn nicht heute, irgendwann / Ich mach Licht für dich / Immer nur für dich.“

So viel Liebe, so viel Trost konnte sie anderen geben. Trost brauchen jetzt wir, Angehörige, Kollegen, Freunde, die sie so sehr geliebt haben. Wir sind fassungslos. Franziska Steiof hat sich entschieden, am 23. Januar 2014 aus dem Leben zu gehen. Stefan Fischer-Fels ist Künstlerischer Leiter des Grips Theaters Berlin.

Stefan Fischer-Fels

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