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Kultur: Ich oder wir

Très français: die Romanze „Un amour de jeunesse“.

Viel zu französisch sei der Film, nörgelt der junge Franzose Sullivan – das viele Gerede und der arg bemühte Kunstwille hätten ihn gestört. Welchen Film Sullivan (Sebastian Urzendowsky) und Camille (Lola Créton) gerade gesehen haben, bleibt ungewiss – wohl aber gilt der Seitenhieb jenen Werken, die Festivaljurys und Cineasten beeindrucken, im Kino hingegen oft floppen.

Die aus Paris stammende Regisseurin Mia Hansen-Løve setzt in „Un amour de jeunesse“ alles daran, den Klischees eines gewissen Kunstkinos auszuweichen. Sie arbeitet mit kurzen Einstellungen und hektischer Kamera und gibt sich auch erzählerisch eher konventionell, ja, fast genderpolitisch stereotyp. Das Teenie-Pärchen Camille und Sullivan streitet viel, weil sie Nähe will und er eine enge Bindung scheut. Sie sucht das Wir, er beharrt auf dem Ich – sie gibt sich dem Kontrollverlust hin, er bleibt am Steuer. Und dennoch erwächst daraus eine kluge Studie über die Macht der Liebe – und die Ohnmacht der Liebenden.

Als Sullivan gegen Camilles Willen für ein Jahr nach Südamerika aufbricht, leidet sie so sehr, dass sie bald einen Suizidversuch unternimmt. Selbst Jahre später hat Camille für keinen anderen Mann Augen, noch immer ist sie fremdbestimmt von ihren Gefühlen für Sullivan, obwohl sie ihn nie wiedergesehen hat. Erst als sie ihren Architektur-Professor (Magne-Håvard Brekke) näher kennenlernt, bei ihm einzieht und schließlich schwanger wird, scheint sie das schmerzhafte Ende ihrer Jugendliebe langsam zu überwinden.

Doch als der unreife Egoist Sullivan durch einen Zufall wieder in ihr Leben tritt, ist sie sofort bereit, ihre komfortable Existenz aufs Spiel zu setzen. Die kaum verheilte Narbe bricht wieder auf. Geändert hat sich nichts, sie bleibt die abhängige Enttäuschte, er der beziehungsunfähige Draufgänger. Die beiden passen nicht zueinander, und doch liebt Camille ihn rückhaltlos. „Du bist in mir wie eine Krankheit“, sagt sie einmal.

Die Regisseurin Mia Hansen-Løve lässt offen, was genau Sullivan für Camille empfindet – ob er lediglich mit ihr spielt oder seinen Liebesschwüren nur deshalb keine Taten folgen lässt, weil er den Verlust seiner Unabhängigkeit fürchtet. Die erst 31-jährige Regisseurin, die zuletzt 2010 „Der Vater meiner Kinder“ in den deutschen Kinos zeigte, setzt vielleicht ein bisschen zu sehr auf eine undramatische Inszenierung, auch wirkt das Ende etwas vage. Insgesamt aber ist ihr ein starkes Drama darüber gelungen, wie hilflos wir der Liebe ausgeliefert sind und welch irreversible Abdrücke sie in uns hinterlässt. Martin Gobbin

fsk am Oranienplatz (OmU)

Martin Gobbin

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