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Kultur: Ich, Raddatz

Gregor Dotzauersieht den letzten Dandy des deutschen Literaturbetriebs Komm, wir gehen Raddatz gucken heißt die heimliche Übereinkunft. Mal sehen, wie er drauf ist, der alte Herr, bei seiner Pressekonferenz im Berliner Hotel „Four Seasons“.

Gregor Dotzauersieht den letzten Dandy des deutschen Literaturbetriebs

Komm, wir gehen Raddatz gucken heißt die heimliche Übereinkunft. Mal sehen, wie er drauf ist, der alte Herr, bei seiner Pressekonferenz im Berliner Hotel „Four Seasons“. Und weil Fritz J. Raddatz zwar irgendwie aus der Zeit gefallen ist, aber einen gerade deshalb in der eigenen Gegenwart bestätigt, muss man nicht zweimal überlegen. Da steht er auch schon. Charmekatapult und Giftspritze mit schnarrender Stimme. Grauer Zweireiher, Schlips und braune Schuhe, den Schädel unter Bart, Wallehaar und getönter Brille gut versteckt: eine farblich erstaunlich frühlingshafte Erscheinung an diesem heißen Herbsttag. Die ewige Zigarette qualmt in der gespreizten Hand, während Daumen und kleiner Finger hinter dem Filter ein Zwiegespräch führen. Kein offensichtlicher Farbklecks stört das Bild des 72jährigen Gentlemans.

Man kann ihn ja schlecht bitten, das Hosenbein zu lüpfen, um zu prüfen, ob er nicht doch wieder knallgelbe Socken trägt – zumal er in seinem Erinnerungsbuch schon alle verfügbaren Hosen heruntergelassen hat. („Die Frau meines Vaters ist die erste Frau, mit der ich geschlafen habe. Bürgerliche Aufklärung.“ – Oder die Nacht mit Rudolf Nurejew: „Ich hatte mich an seinem wahrlich makellosen Körper delektiert wie an einer köstlichen Speise“.)

Fritz J. Raddatz’ Erinnerungen „Unruhestifter“ (Propyläen Verlag) sind in vieler Hinsicht eben doch nichts anderes als Dieter Bohlens Autobiografie „Nichts als die Wahrheit“. Vielleicht ist es schon sein Drama, dass er, der Starlektor, der Starkritiker und einstige „Zeit“-Feuilletonchef nun neben allen möglichen Superstars und -sternchen um Aufmerksamkeit buhlen muss. Er, der letzte Kultur-Internationalist einer geschlossenen Glamourwelt, in der zwischen Paris, New York, Mailand und seinem Hamburg lauter rote Telefone geschaltet waren. Vielleicht ist es aber ein noch größeres Drama, dass er immer noch den Pfau gibt, im Glauben, dass die Würde des Intellektuellen, wie er ihn verkörpert, unantastbar sei.

„Ich will meinesgleichen einen Menschen in der ganzen Naturwahrheit zeigen, und dieser Mensch werde ich sein“, lautet sein Rousseaus „Bekenntnissen“ entliehenes Motto: „Ich allein.“ Auf den hier als Recht auf die eigene Eitelkeit verstandenen Nachsatz kommt es an. Denn alles, was an Raddatz’ bewegtem Leben zwischen Ost und West exemplarisch sein könnte, zerstiebt in einem Meer von teils sprechenden Anekdoten zu Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, Uwe Johnson, Hans Mayer oder anderen bedeutenden Figuren seiner Zeit – nur dass diese eben nicht als Ganzes vor dem Leser ersteht.

„Der Dandyismus“, heißt es bei Charles Baudelaire, „ist das letzte Funkeln des Heldentums in den Zeiten der Dekadenz.“ Ob das auch bedeutet, dass intellektueller Mut eine Sache der Vergangenheit ist?

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