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Kultur: Ich sage etwas, aber ich habe nichts zu sagen

Cheftheoretiker des Nouveau Roman: zum Tod des französischen Schriftstellers Alain Robbe-Grillet

Von Gregor Dotzauer

Vor einem halben Jahrhundert eröffnete er seinen ersten Artikel für Georges Batailles Zeitschrift „Critique“ mit dem Bekenntnis: „Der wahre Schriftsteller hat nichts zu sagen.“ Das richtete sich gegen Sartres Theorie einer littérature engagée – und ging doch weit darüber hinaus. Alain Robbe-Grillet wehrte sich ein Leben lang gegen die Zumutung, überhaupt etwas meinen zu müssen mit seinen Büchern. Er zitierte dann gerne Nabokovs „Ich bin doch kein Telegrafist“ und behauptete rundheraus, es gebe kein Buch, das sich zusammenfassen ließe – vorausgesetzt, es handle sich um Literatur.

„Ich sage etwas, aber ich habe nichts zu sagen“, erklärte er noch im Jahr 2001, als er nach Deutschland kam, um seinen Roman „Die Wiederholung“ vorzustellen, ein Buch, das sich auf die topografischen Spuren Kierkegaards in Berlin begibt. Sprache, glaubte er, könne weder Wirklichkeit noch Bewusstsein repräsentieren: „Der einzige Inhalt eines Buchs ist das Buch selbst.“ Wenn man ihn fragte, was in seinen Augen denn die Wörter und die Dinge verbinde, dann sagte er: „Das steht in jedem Wörterbuch. Wenn ich wissen will, was das Wort Tisch bedeutet, schlage ich dort nach.“ Und wenn man ihn fragte, ob ein Schriftsteller denn unter solchen Voraussetzungen auch lügen könne, dann sagte er: „Er kann nicht lügen. Weil es keine Wahrheit gibt.“

Alain Robbe-Grillet, 1922 in Brest geboren, war der theoretische Kopf einer Bewegung, die in der Praxis viele unterschiedliche Ausformungen fand. Was oft vorschnell als die Schule des Nouveau Roman bezeichnet wird, traf bei Claude Simon, Nathalie Sarraute oder Michel Butor auf ganz andere Temperamente als bei ihm, selbst wenn die meisten Kollegen geneigt waren, Robbe-Grillets berühmte „Argumente für einen neuen Roman“ (Pour un nouveau roman, 1963) zu teilen.

Nicht das Erzählen von Abenteuern in den Mittelpunkt zu stellen, sondern das Abenteuer des Erzählens war sein Anliegen. Dass dabei das erlebende Subjekt in den Hintergrund tritt und die Dinge ein Eigenleben bekommen, war die Folge dieses Programms. Schon in den fünfziger Jahren hatte er damit, unterstützt von Denkern wie Maurice Blanchot oder Roland Barthes, die letzten Reste eines Schreibens zersetzt, das nach dem Zerfall äußerer Gewissheiten wenigstens noch eine Zuflucht in den Ungewissheiten des Bewusstseins gesucht hatte. „Ein Tag zuviel“ (Les gommes, 1954), „Der Augenzeuge“ (Le voyeur, 1955) und vor allem „La jalousie“ (1959), ein Buch, dessen Titel mit dem schönen Doppelsinn von Eifersucht und Jalousie spielt, tasteten, Edmund Husserls Phänomenologie fiktionalisierend, reine Oberflächen ab. Die manchmal fast kriminalistische Spannung, die diese Bücher entwickelten, obwohl sie nach konventionellen Begriffen blutleer waren, kann man vielleicht erst heute, nach dem Ende aller Avantgarden und dem x-ten Rückfall ins naive Erzählen angemessen würdigen.

Robbe-Grillet träumte wie Gustave Flaubert von einem Buch über das Nichts, das dennoch vollkommen wäre. Es steht dazu nicht unbedingt im Widerspruch, dass ihm dabei schließlich die eigene Person ins Visier geriet. Seine autobiografische Trilogie, die 1984 mit dem Band „Der wiederkehrende Spiegel“ ihren Ausgang nahm, experimentiert hinreißend damit, was übrig bleibt, wenn man das Material seines Lebens untersucht, als würde es ein Fremder tun. Wenn das Ergebnis ungewöhnlich lebenssatt war, so lag es nicht zuletzt an Robbe-Grillets exorbitantem Ego. Er war vollendet in seinen Umgangsformen, aber eitel bis in die Fingerspitzen; belesen und intellektuell verfeinert wie nur wenige und zugleich ein wilder Erotomane. Die filmischen und literarischen Fantasien, die er jungen Mädchen angedeihen ließ, fielen um so peinlicher auf, je älter er wurde.

Bei der letzten Frankfurter Buchmesse durften Lektoren nur hinter verschlossenen Türen einen Blick in sein letztes, halbpornographisches Buch „Un roman sentimental“ werfen, das wohlweislich nicht bei seinem Stammverlag, den Editions de Minuit, erschien, sondern bei Fayard. Robbe-Grillet war ein widersprüchlicher Zeitgenosse – und zumindest für die, die mit ihm lebten, auch ein schwieriger.

Seine Frau Catherine Robbe-Grillet, die unter den Pseudonymen Jean und Jeanne de Berg einiges Talent für sadomasochistische Literatur zeigte, veröffentlichte mit „Jeune mariée: Journal, 1957-1962“ erst vor einem guten Jahr Tagebücher aus der Frühzeit ihrer gemeinsamen Ehe, die ein nicht gerade sympathisches Bild ihres Gatten zeichnen. An seiner Größe, der zum vollkommenen Genuss der eigenen Leistung nur der Nobelpreis fehlte, den dann Claude Simon bekam, ändert das kein Jota. Gestern ist Alain Robbe-Grillet mit 85 Jahren in Caen gestorben.

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