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Kultur: „Ich sehe die Europäer nicht als Liliputaner“

Die ehemalige amerikanische Außenministerin Madeleine Albright über Bush, Clinton, Schröder – und eine neue politische Kultur

Frau Albright, Sie kommen gerade aus Ihrer alten Heimat Prag, wo sie umjubelt wurden, und auch in Wien waren die Vortragssäle überfüllt. Das neue und das alte Europa sehnen sich gleichermaßen nach dem anderen, besseren Amerika – und sehen es in Ihnen?

So bewegend der Empfang auch war: An das „alte“ und das „neue“ Europa glaube ich nicht. Meine Wurzeln sind europäisch, Punkt. Die künstliche Trennung Europas durch die Sowjets dürfen wir doch nicht fortschreiben! Unser ganzes Projekt bestand darin, ein einiges und integriertes Europa zu schaffen. Der erste Präsident Bush hat es geschafft – natürlich mit deutscher Hilfe – ein wiedervereintes Deutschland herzustellen. Darauf haben wir in der ClintonÄra aufgebaut, haben die Nato erweitert und uns so sehr um den Balkan gekümmert, weil der doch eben das fehlende Teil im Puzzle war.

Jene, die dem „alten Europa“ ein „neues“ gegenüberstellen, argumentieren mit dem ungleich verteilten Misstrauen gegenüber Amerikas Macht: Warschau kämpft mit Washington im Irak, Berlin und Paris sagen nein.

Die einzige Trennlinie, die ich in Europa sehe, sagen wir besser: die einzige akzeptable Differenzierung, ist doch jene, die mit der Besatzung halb Europas durch die Sowjetunion zusammenhängt. Die Osteuropäer hatten eher Sympathien für das irakische Volk und sein Leiden unter Saddam Hussein, weil sie selbst gerade erst aus einer Diktatur entkommen waren. Natürlich gibt es Unterschiede. Aber je mehr die Robert Kagans und die anderen Neokonservativen in Amerika die Unterschiede zwischen den USA und Europa einerseits und innerhalb Europas andererseits betonen, desto mehr handeln sie konträr zu dem, was unser Ziel sein sollte. Ich habe mit dieser ganzen Debatte ein Problem. Ich sehe die Europäer nicht als Liliputaner, die bemüht sind, den Gulliver Amerika am Boden festzubinden. Es gibt im transatlantischen Verhältnis weder Mars noch Venus. Beide Seiten haben Fehler begangen. Mindestens die halbe Schuld tragen die Chiracs dieser Welt, die glauben, es wäre weise, wenn Europa Amerika austariert. Das macht keinen Sinn.

Sie sagen zu beiden Konzepten nein: Zur gaullistischen Vision eines Europa als Korrektiv Amerikas und zur Trennlinie, die Pentagon- Chef Donald Rumsfeld durch Europa legt?

Ja, ja, genau. Ich höre in Ost- und Mitteleuropa stets eine Lehre, die dort aus der Geschichte gezogen wird: Dass man lieber von Amerika als von Frankreich abhängt. Im Fall der Nachfolger der Tschechoslowakei ist das doch klar: Paris hat seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt, als Hitler sich entschloss, das Land zu zerschlagen. Solche Brüche, die aus der Vergangenheit stammen, gibt es überall. Beiderseits des Atlantiks ist deshalb politische Führung gefragt, aber deren Ziel muss eben der Brückenbau sein, nicht das Ausheben von Gräben.

Es gibt einen Konsens in der Alten Welt: Auch jene, die Europa nicht als Bremse Amerikas verstehen, beharren auf dem Vorrang der Vereinten Nationen. Wie sehen Sie die UN?

Ich habe gemischte Gefühle. Mein Vater war einst der Prager Diplomat in der Kaschmir- Arbeitsgruppe der UN. Er ist tot, ich bin alt, und die Kaschmir-Gruppe tagt noch immer. Dennoch bin ich ein überzeugter Anhänger der UN. Aber eine grundlegende Reform tut dringend not. Eben deshalb haben die USA ja vorgeschlagen, Japan und Deutschland dauerhaft in den noch immer vom Zweiten Weltkrieg geprägten Sicherheitsrat aufzunehmen. Und wer besucht mich als Erster, nachdem wir diese Modernisierung gefordert hatten? Der italienische Botschafter, der mich belehrt: Wir haben den Krieg doch auch verloren!

Sind Sie froh, dass Sie während des bitteren Zwists im letzten Jahr nicht als US-Außenministerin zu dienen hatten?

Das ist natürlich eine hypothetische Frage, aber ich glaube, wir hätten den bitteren Zwist nicht, wäre ich Außenministerin. Das soll nicht bedeuten, dass ich zu meiner Zeit keine Probleme mit Europa hatte. Als ich UN-Botschafterin der USA war, gab es leider ein typisches Muster. Ich sprach ein europäisches Land an, weil wir Hilfe brauchten, und die Antwort lautete: Sorry, wir können euch nicht helfen, weil wir keine europäische Haltung in der Frage haben. Später frage ich erneut, und jetzt lautet die Antwort: Sorry, wir können euch nicht helfen, weil wir eine europäische Haltung in der Frage haben. Es gab stets Probleme, und es war alles andere als ein friedliches Kuchenessen. Aber wir haben daran gearbeitet. Tägliche Gespräche, tägliche Kontakt e, das war der Schlüssel zum Erfolg, beispielsweise im Kosovo.

Heute herrscht oft Sprachlosigkeit zwischen Amerika und Europa...

Die Regierung des zweiten Präsidenten Bush hat falsch angefangen. Ich denke an Kyoto und an den Strafgerichtshof. Auch wir hatten gewaltige Probleme mit diesen Vertragswerken. Aber unter einem Präsidenten Gore hätten wir von innen heraus daran gearbeitet. Ich glaube, dass Amerika ein außergewöhnliches Land ist, aber wir können uns nicht außerhalb des internationalen Systems stellen. Der Zwist begann, weil der Eindruck entstand, Amerika wolle nun eben dies. Hier begann der Irak-Streit. Es gibt ja Menschen in den USA, die sagen: Hätte Gerhard Schröder doch nur Präsident Bush angerufen und ihm gesagt, schau mal, dies ist die Lage, ich muss dieses und jenes sagen – Bush weiß doch, wie man Wahlen gewinnt. Sie hätten miteinander reden können, und es ist schon ein Unglück, wenn die politischen Führungen nicht miteinander sprechen. Ich glaube fest daran, dass persönliche Beziehungen für die Politik bedeutsam sind. Aber man darf doch nicht zulassen, dass der eigene Ärger die Politik blockiert.

Das Verhältnis Bush-Schröder hat die Debatte über den Irak mit geprägt. Washington sah den Krieg gegen Saddam als Teil des Kriegs gegen den Terror, Europa sah diesen Zusammenhang nicht. Wie geht dieser Krieg weiter?

Ich wünsche mir, dass Bushs Team sich weiter auf Afghanistan konzentriert hätte. Leider ist eines aber nicht zu bezweifeln: Jetzt, nach dem Krieg, gibt es den Zusammenhang zwischen dem Irak und dem internationalen Terror. Jetzt ist der Irak ein Sammelbecken für Extremisten und Fundamentalisten. Es ist die Tragödie unserer Zeit, dass wir uns auf den Kampf gegen den Terrorismus konzentrieren müssen, während die Welt so voller Möglichkeiten und faszinierender Entwicklungen steckt. Niemand weiß, wie man Krieg gegen den Terror führt. Der Begriff „Krieg“ passt mir allerdings gar nicht, weil er nicht funktioniert. Terroristen haben keine Adresse. Ein solcher Krieg hat kein Ende; es wird keinen Tag des Sieges geben.

Was halten Sie von der These, der 11. September habe zu einer dauerhaften Entfremdung zwischen den USA und Europa geführt, manche sprechen gar von „Scheidung“, der Irak- Streit habe dies nur sichtbar gemacht?

Moment mal. Ich bin nie in der Lage gewesen, zu sagen, ob ich nun eine idealistische Pragmatikerin oder eine pragmatische Idealistin bin. Aber eines weiß ich: Wir haben gemeinsam den Faschismus in die Knie gezwungen, wir haben gemeinsam den Kommunismus überlebt, wir haben gemeinsam die ethnischen Säuberer niedergerungen, wir haben gemeinsam ein einiges, freies, demokratisches Europa geschaffen – erstmals in der Geschichte. Es ist schlicht schwachsinnig, zu behaupten, der 11. September mache diese gemeinsamen Erfolge der USA und Europas bedeutungslos.

Einmal ist Ihnen die tschechische Präsidentschaft schon angetragen worden. Sie haben abgelehnt. Werden wir Sie dennoch irgendwann auf Dauer zurück in Europa sehen?

Das hat keinen Sinn. Mein ganzes Buch handelt davon, wie ich Amerikanerin wurde, und was das für mich bedeutet. Außerdem kann jemand nur eine neue Demokratie in Osteuropa führen, der zusammen mit der Bevölkerung den Kommunismus durchlebt hat. Den Zusammenbruch der früheren Staatsmoral und die völlige Desillusionierung muss man fühlen und spüren können. Deshalb wäre eine US-Bürgerin als Staatsoberhaupt in Prag unpassend.

Das Gespräch führte Robert von Rimscha. Madeleine Albright spricht am Samstag um 11.30 Uhr im Rahmen der „Berliner Lektionen“ im Renaissance-Theater.

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