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Kultur: Ich und die anderen

Von Mexiko nach Paris: Eine Hamburger Ausstellung zeigt Frida Kahlo und europäische Zeitgenossen

Glücklich war sie keineswegs in Paris. „Ich hatte eine beschissene Zeit hier“, schimpft Frida Kahlo in einem Brief an den Fotografen Nickolas Muray. Die Ausstellung, die André Breton ihr versprochen hatte, war nicht vorbereitet, die Bilder noch nicht einmal vom Zoll abgeholt, und sie selbst hat sich heftig den Magen verdorben und musste ins Krankenhaus. Und dann kombiniert Breton in der Ausstellung auch noch ihre Bilder mit Kunsthandwerk, das er in Mexiko auf dem Markt gekauft hat, billigem Plunder, wie Frida meint: „Du kannst dir nicht vorstellen, was diese Leute für Kanaillen sind. Ich könnte kotzen. Sie sind so verdammt ,intellektuell’, dass ich sie nicht länger ertragen kann. Lieber hocke ich mich auf den Markt von Toluca und verkaufe Tortillas, als etwas mit diesen schäbigen Pariser ,Künstlern’ zu tun zu haben.“

Ein Kulturschock besonderer Art, im Heimat- und Sehnsuchtsland der Kunst. Die Arroganz der europäischen Künstler, ihre Selbstbezogenheit und nicht zuletzt die unsauberen Wohnungen haben die verwöhnte Mexikanerin, die in ihrer Heimat längst ein Star ist, abgestoßen. Auch wenn die Ausstellung in Paris schließlich ein Riesenerfolg wird und die Surrealisten sie als ihresgleichen begrüßen – Kandinsky fällt ihr um den Hals, Picasso schenkt ihr Ohrringe: Frida Kahlo hat von Europa die Nase voll. Eine Ausstellung in London sagt sie ab, kehrt nach New York zurück, trennt sich von Muray, lässt sich im Herbst auch von ihrem Mann Diego Rivera scheiden. Ein schlechtes Jahr für Frida Kahlo. In Europa bereitet man den Weltkrieg vor.

Das Treffen 1939 mit den Surrealisten nimmt das Bucerius Kunstforum in Hamburg nun, ein Jahr vor Frida Kahlos 100. Geburtstag, zum Anlass, die Künstlerin einmal nicht in ihrer ikonenhaften Selbstinszenierung zu zeigen, sondern ihre Position in der Kunstgeschichte und ihr Verhältnis zu anderen, vor allem europäischen Künstlern zu untersuchen. Sie sei keineswegs die naive Autodidaktin gewesen, so die These der mit 34 Kahlo-Werken erstaunlich gut bestückten Ausstellung, sondern habe die zeitgenössische Kunstszene genau beobachtet. Aufenthalte mit Diego Rivera in den USA haben sie mit führenden Galeristen, mit Alfred H. Barr vom Museum of Modern Art und der vor dem Terror aus Europa flüchtenden Kunstszene um Max Ernst, Dalí, Miró, Breton und Duchamps in Kontakt gebracht. Ausstellungskataloge der MoMA-Ausstellungen finden sich in ihrer Bibliothek, zeitgenössische Kunstzeitschriften hat sie abonniert. Gerade die deutsche Kunstszene verfolgt sie mit besonderem Interesse – vielleicht, weil sie selbst deutsche Wurzeln besaß: Ihr Vater war in Pforzheim geboren und 1891 nach Mexiko ausgewandert, wo er Karriere als Fotograf machte.

So sind es auch die deutschen Künstler, mit denen in Hamburg eine besonders glückliche Gegenüberstellung gelingt. Christian Schad zum Beispiel malt 1930 „Die Mexikanerin“, eine dunkelhaarige, glutäugige Frau mit farbenfrohen Kleidern und auffallendem Schmuck – fast meint man, ein Porträt Frida Kahlos zu sehen. Die frontale Ansicht, der starre Blick, die sorgfältige, fast altmeisterliche Malweise, all das teilt die mexikanische Malerin mit der Neuen Sachlichkeit. Auch wenn ein direkter Kontakt nicht belegt werden kann: Schads Arbeiten erschienen als Titelbilder in Zeitschriften wie „Moderne Welt“ oder „Jugend“, die auch in Amerika verbreitet waren. Sie hat sie also kennen können, ebenso wie die Collagearbeiten der Dadaistin Hannah Höch, die ein ähnlich eigenständiges, kritisches Frauenbild zeigen.

Spannender noch ist der Vergleich mit den Surrealisten – zumal er sich auf ein zentrales Werk Kahlos konzentriert. „Die gebrochene Säule“ von 1944 zeigt die Malerin frontal, das Gesicht tränenüberströmt, die Haut mit Wundmalen und Nägeln übersät. Über Hals, Brustkorb und Bauch klafft die Haut auf, gibt den Blick frei auf die Wirbelsäule in Form einer antiken ionischen Säule, die mehrfach gebrochen ist. Einzig ein Korsett aus Gurten hält die Figur aufrecht.

Nur zu naheliegend, das Bild einzig autobiografisch zu deuten, an den furchtbaren Busunfall zu erinnern, den Kahlo mit 18 Jahren erlitt und der sie für ihr Leben als Krüppel zurückließ. Immer wieder musste sie ins Krankenhaus, litt Schmerzen im Rückgrat, musste monatelang liegen oder ein Gipskorsett tragen. Das Bild der Leidensfrau war geboren.

Doch das anatomische Interesse, das aus Kahlos Bild spricht – immerhin wollte sie zunächst Medizin studieren – öffnet eine andere Tür: Auch Max Ernst, de Chirico, Magritte und Dalí verwenden das Motiv des geöffneten Körpers, nutzen anatomische Modelle, die das Motiv des antiken Torso ersetzen. An die Stelle des Memento mori, das Frida Kahlo immer wieder aufgreift, mit Skeletten und Figuren aus der mexikanischen Volksfrömmigkeit, tritt wissenschaftliches Interesse. Die Praxis in den Krankenhäusern von Detroit und New York wird ihr Einblicke in diese Welt gegeben haben.

Doch so kunsthistorisch verdienstvoll die Gegenüberstellungen sein mögen, so schlagend selbst fürs Laienauge die Wiederkehr der Motive, Ranken und Wurzeln, Wüsten und Wolken, Masken und Muskeln ist, so lobenswert auch der Versuch, der penetranten Kahlo-Verehrung den kühleren Blick der Wissenschaft entgegenzusetzen – ihre Faszination, ihre Betriebstemperatur bekommen diese Bilder nicht durch die Motivik, sondern durch den Willen, der dahinter steht. Jene ungeheure Kraft der Selbsterfindung und Selbstinszenierung, die alles Masken- und Rollenspiel weniger als Spiel, mehr als Selbst-Schöpfung wirken lässt. Nicht abwegig daher, Frida Kahlo als Performance-Künstlerin zu sehen, mit jedem Aufritt, ihren farbenfrohen Gewändern, der stets kunstvoll geflochtenen Frisur, auch mit der Hofhaltung am Krankenbett, der Art, wie sie Verkrüppelung und körperliches Leiden keineswegs vertuscht, sondern geradezu ausstellt und künstlerisch überformt.

Ihr Leben: ein Kunstprodukt, in dem die Bilder nur eine, vielleicht noch nicht einmal die entscheidende Rolle spielen. Sucht man nach Wesensverwandten, hätte man vielleicht weniger die Surrealisten als solche Selbstdarsteller wie Andy Warhol, Martin Kippenberger oder Jonathan Meese wählen sollen. Das wäre die spannendere Ausstellung geworden.

Bucerius Kunstforum, bis 17. September. Katalog (Hirmer Verlag) 19,90 Euro

Christina Tilmann

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