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Kultur: Ich, verloren

Michael Thalheimers „Winterreise“ am DT

Gewiss, wie alle auf die Bühne gebrachten „Winterreisen“, so hat auch diese in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, von Michael Thalheimer inszeniert, von Daniel Kirch gesungen und von Jürg Henneberger am Klavier begleitet, ihre Vorteile. Wer sich zum Beispiel nicht in den Konzertsaal bequemen und auf das Standbild Sänger-vor-Flügel einlassen, trotzdem aber die alte Geschichte jenes Mannes kennenlernen möchte, der eines Winters auszog, das Entlieben zu lernen und die Einsamkeit, der ist mit dieser Inszenierung gut beraten. Sie fängt verheißungsvoll an, nämlich in totaler Dunkelheit; erst nach und nach wird der weiße Anzug sichtbar (Kostüme: Michaela Barth), in dem Kirch steckt und den er am Ende ausgezogen hat, als alles verloren ist: das Ich, der Lebensmut und jede schöne Nähe zu den Menschen.

Dieses letzte Lied vom Leiermann, der „drüben hinterm Dorfe“ steht, singt Kirch nackt auf der leeren schwarzen Bühne liegend: „Willst zu meinen Liedern“, fragt er, und Henneberger spielt dazu auf einem schnarrenden Klavier, „deine Leier drehn?“ Unversehens schließt sich der Kreis, und einmal mehr wird an diesem Abend die Selbstreferenzialität des Schubertschen Zyklus von 1827 deutlich. Genau so könnte man schließlich wieder von vorne anfangen, mit einem, der singt, und einem, der ihn begleitet, im Klaviersinne, aber auch ganz kameradschaftlich. Ähnlich irritierend wirken die Publikumsansprachen: „Ihr lacht wohl über den Träumer“, singt der junge Tenor, selbst ungläubig, einen halben Meter vor der ersten Reihe stehend. Oder das Sprechen von der Rast im engen Köhlerhaus – wer erzählt hier wem von wessen Erschöpfung?

Ja, sich beim Singen bewegen zu dürfen, langsam über die Bühne zu gehen, gebeugt oder nach hinten übergelehnt zu stehen, in diese Körperhaltung hinein zu wechseln und aus jener wieder heraus, das mag fürs Singen nicht ganz praktisch sein, aber doch wohl hie und da die geschlossene Liederzählung zerrütten, ganz so, wie es schon in der Textvorlage von Wilhelm Müller angelegt ist. Außerdem kann Kirch ausgezeichnet singen. Zwar dürfte er sich etwas weniger weinerlich geben bei seiner Reise, außerdem sich noch öfter auf leise Töne und Randschwingungen einlassen – herrlich gerät ihm ein zart beginnendes Lied wie die „Wasserflut“. Und auch den Spitzentönen gewährt er manchmal zu viel Zeit, bis sie auf der korrekten Höhe einrasten.

Aber Kirch bleibt ein hervorragender Interpret, den Henneberger am Klavier nur manchmal viel zu laut begleitet – auf drei Instrumenten, das eine unsichtbar, das zweite konzertflügelmäßig an der Rampe, das schlimme dritte das Un-Klavier des letzten Lieds. Bis auf etwas Kunstschneeglitter und zugige Winde hält Bühnenbildner Henrik Ahr den Raum frei. All das – also: all das Wenige – stört diesen Zyklus nicht. Und ist daher gutzuheißen. Es fügt der „Winterreise“ allerdings auch nichts zu, und so ist man am Ende schon wieder so weit zu vermuten, dass dieses Werk die elegant rattenfängerische Veranschaulichung einfach nicht nötig hat.

Wieder heute (18 Uhr), 30. 11. (20 Uhr)

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