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Kultur: Ich werde meine Ehe retten

Regisseur Max Färberböck dreht einen Film über den 11. September: Wie der Anschlag den Alltag in Hamburg und Berlin veränderte

Von Claudia Keller

Die Fotografen machten gleich auf dem Absatz wieder kehrt: Was sollen wir hier auf diesem öden Schulgelände? Max Färberböck, Jörg Schüttauf, Nina Proll und Moritz Rinke stehen auf dem Schulhof und wissen auch nicht recht, wohin mit sich. Auf den Boden sind Pfeile gemalt für einen Verkehrskindergarten. Färberböck, der Regisseur von „Aimée und Jaguar“, hat sich mit den Schauspielern, Drehbuchautoren und den Geldgebern für seinen neuen Film „September“ zum Gruppenfoto versammelt. Und das ausgerechnet auf dem Schulhof der Uckermark Grundschule in Berlin-Friedenau. Nächstes Frühjahr soll der Film in die Kinos kommen. Wie Abiturienten, die für die Schülerzeitung posieren, stehen sie da, in Jeans und T-Shirt, so, als hätten sie schon eine Menge hinter sich gebracht und stünden doch erst am Anfang.

Eine seltsame Inszenierung für die Präsentation eines neuen Filmes, so ungeschminkt, denkt man und streift in den dunklen Gängen vorbei an Kinderzeichnungen und staunt über sehr niedrige Waschbecken in der Toilette. Später dann, oben in der Aula, zwischen Schulbänken und allerlei Turngerät erzählt Färberböck, wie er den 11. September erlebt hat. Als Schock, als Einbruch, der längst Verdrängtes zurückbrachte: das Bewusstsein dafür, wie eng unser privates Leben mit politischen Umständen vernetzt ist und wie schutzlos wir doch sind. Er habe mit einem Theaterintendanten telefoniert, bei dem das Radio lief und die Meldung, dass ein Flugzeug ins World Trade Center geflogen sei. „Ich schaltete den Fernseher ein, versorgte mich mit Salzstangen und gab mich drei Tage lang den Ereignissen hin. Das war einer der intensivsten Momente meines Lebens.“ Die totale Desorientierung, das „Geschwader von Meinungen“, die Hilflosigkeit der Politiker, die Tränen einer Moderatorin, „wir waren alle nackt“. Nichts habe ihm damals ferner gelegen, als darüber einen Film zu drehen. Zu nah das Ganze, zu chaotisch.

Dass es jetzt doch dazu kommt, lag an dem Moment, als ein Gespräch ins Stocken kam. An der sehr langen Pause, die ein Freund an der Wohnungstür machte, nachdem Färberböck ihn gefragt hatte, was der 11. September bei ihm ausgelöst habe. Und dann der Satz: „Ich werde meine Ehe retten“. So ist das, wenn Politik, wenn Geschichte bis ins Private durchschlägt. „Das hat bei jedem von uns etwas bewirkt“.

„Jeder von uns“ – im Film sind das im Wesentlichen vier Paare: der Polizist Helmer (Jörg Schüttauf) und sein Sohn, die schwangere Lena (Nina Proll), die mit dem Pakistani Ashraf (René Ifrah) verheiratet ist, der Schriftsteller Felix Baumberger (Moritz Rinke) und seine Freundin Natascha (Stefanie Stappenbeck) und ein Hamburger Börsenmakler (Justus von Dohnányi) und seine Frau Julia, die in Folge des 11. September all ihr Geld verlieren. Vier Geschichten, manche sind lose miteinander verbunden, manche laufen ins Leere, eine Art „German Short Cuts“.

Färberböck hatte an diesem Nachmittag eigentlich gar nicht so viel über den Inhalt des Filmes verraten wollen. Schließlich sind noch nicht einmal die Dreharbeiten abgeschlossen. Vielleicht lag es an blauen Turnmatten in der Ecke der Aula oder am verblichenen Stuck an der Decke, vielleicht auch an dem einsamen Klavier auf der Bühne, dass man sich gerne gegenseitig erzählte, wie man selbst jenen Tag im September erlebt hat.

Moritz Rinke hat am 11. September auf dem Flughafen in Los Angeles auf eine Maschine gewartet, die von der Ostküste kommend, ihn zurück nach Washington bringen sollte. Sie kam nicht. Diejenigen, die am Gate warteten, um ihre Angehörigen aus Washington in Empfang zu nehmen, wurden irgendwann kreidebleich, sagt Rinke. Da hatten sie erfahren, dass sich die Maschine nicht verspätet hatte, sondern abgestürzt war. Nichts habe ihm ferner gelegen, als darüber einen literarischen Text zu schreiben. Als Färberböck ihn fragte, ob er an dem Drehbuch mitschreiben wolle, habe er ihm spontan geantwortet: „Ja, aber nur, wenn wir den Film nicht verkaufen.“ So genervt sei er „von diesem ganzen Hype“ um den 11. September gewesen, davon, dass selbst dieser Tag zum Verkaufsschlager wurde. Wie schnell die meisten zum „business-as-usual“ zurückfanden, das könne man nur ironisch brechen. Rinke hat sich dafür den Schriftsteller Baumberger ausgedacht. Vor lauter Geschäftstüchtigkeit bleibt ihm keine Zeit für Betroffenheit. Gerade hatte er sich zum Genetik-Spezialisten emporgeschrieben, nun ist der Islam-Experte gefragt.

Färberböck hat für diesen Film bewusst keine professionellen Filmschreiber engagiert. Er wollte Leute mit einem „direkten Draht zum Text“. Sarah Khan zum Beispiel. Die Prosa-Autorin ist Halb-Pakistani. In ihre Geschichte über Lena und Ashraf hat sie die Erlebnisse ihrer Familie in den Wochen nach dem Anschlag einfließen lassen. Außer ihr und Rinke haben John von Düffel, Matthias Pacht und Maria Scheibelhofer Geschichten zu dem Drehbuch beigesteuert.

Der Film ist ein Experiment, sagt Färberböck. Nur eine Antwort von vielen. Letztlich wird jeder selbst überlegen, welche Chance einem dieser Tag gewährte.

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