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Kultur: Ich will alles

Madame Akerman, mit jedem neuen Film überraschen Sie ihr Publikum. Zugleich lassen Sie sich zwischen Ihren Arbeiten viel Zeit.

Madame Akerman, mit jedem neuen Film überraschen Sie ihr Publikum. Zugleich lassen Sie sich zwischen Ihren Arbeiten viel Zeit. Ihr letzter Spielfilm "Eine Couch in New York ist sechs Jahre her".

Komisch, gerade diese Komödie passt gar nicht so recht zu mir. Sie ist viel mehr eine Zäsur als nun "Die Gefangene". Aber es ist gut, dass ich beides gemacht habe.

Haben Sie auch an anderen Projekten gearbeitet, in dieser Periode zwischen der "Couch" und der "Gefangenen", abgesehen vom Dokumentarfilm "Sud"?

Ich habe ein Selbstporträt gedreht, ein Buch geschrieben, eine Installation angefertigt ... ich versuche, mich mit verschiedensten Dingen zu konfrontieren, um nicht zu sehr in eine mögliche Wiederholung zu geraten. Mich interessiert alles. Jetzt ist es "Die Gefangene". Sie ist mir sehr nahe.

Was mir an der "Gefangenen" besonders auffällt: Es ist ein in sich sehr geschlossener, vielleicht auch ein verschlossener Film.

Ich würde lieber von einem obsessionellen Film sprechen, in jeder Hinsicht. Selbst die äußere Form verstärkt die Obsession, um die es hier geht. Sie hilft auch, sie stärker zu fühlen, sie wirklich zu spüren.

Warum haben Sie sich bei Ihrer Stoffwahl gerade an den französischen Epiker der Innenschau gewagt? Am handlungsarmen Kosmos Marcel Prousts haben sich schon manche die Zähne ausgebissen.

"Die Gefangene" ist eine freie Adaption von Marcel Prousts "La Prisonnière", eine sehr freie Adaption. Ich habe das Buch mehrmals gelesen, wie alle Bücher Prousts. Als ich den Roman zum zweiten Mal las - ich war wohl um die 27, 28 - sagte ich mir, den Part der "Prisonnière" muss ich eines Tages verfilmen. Das ist nun "Die Gefangene" geworden - fast 25 Jahre später!

Ein Proust-Titel heißt "Die wiedergefundene Zeit". Sie haben Ihren Stoff wiedergefunden - mit veränderter Wahrnehmung?

Ich hätte den Film nicht früher verwirklichen können, nicht auf diese Weise. Auch jetzt habe ich gar nicht erst versucht, am Buch zu kleben, sondern das umzusetzen, was in meiner Erinnerung von damals wieder hochkam, wie es regelrecht aufstieg. Das war mein Ausgangspunkt: diese Obsession, dieser Versuch, jemand anderen mental und zugleich körperlich zu besitzen, dieser Wunsch einer Verschmelzung auch. All diese amourösen Versuchungen, die oftmals zum Scheitern verurteilt sind: Wir kennen das doch alles, wenn auch vielleicht nicht unbedingt auf dieselbe Art.

Bei Ariane und Simon meint man eine starke wechselseitige Abhängigkeit zu erkennen, wenn auch auf unterschiedliche Weise.

Natürlich. Da ist nicht nur die dauernd kontrollierte Ariane. Simon braucht dieses Mädchen regelrecht, er braucht ihre Lügen, um damit seine Obsession zu nähren. So gesehen, könnte man den Film auch "Der Gefangene" nennen.

Wenn ich Sie so direkt fragen darf: Was bedeutet Liebe für Sie?

Liebe kann bestehen, kann sich nähren, kann sich bereichern, kann überdauern - ohne dass man abhängig ist.

Manchmal, wenn Simon seiner Ariane durch die Straßen von Paris folgt, da wirkt das wie ...

wie Hitchcock?

Ich dachte eher an Truffauts Antoine-Doinel-Filme mit Jean-Pierre Léaud.

Kann sein, man ist ja keine Jungfrau mehr, man hat viel gesehen, kann schon sein, dass dann auch irgendwie ins eigene Arbeiten einfließt. An Truffaut aber habe ich bei der "Gefangenen" nie gedacht. Dafür natürlich an Hitchcocks "Vertigo" - auch wenn es da eher um Fetischismus als um Obsessionen geht und der Film überhaupt ganz anders funktioniert. Aber ich liebe "Vertigo". Sonst denke ich bei der Suche nach verwandten Namen noch an Carl Theodor Dreyer, dessen Ton "Die Gefangene" vielleicht noch mehr trifft als jenen Hitchcocks. Filme wie "Gertrud" oder "Vampyr" - zumal Simon beinahe etwas Vampirisches hat.

Wenn wir über Einflüsse sprechen: Welcher wäre für Sie der Wichtigste?

Ganz eindeutig Godard. Auch das hat wieder mit einer Zeit zu tun, die lange her ist. Als ich noch sehr jung war, um die 15, und Godard überhaupt nicht kannte, da bin ich in ein Kino gegangen und habe "Pierrot le Fou" gesehen. Voilà. Von da an wusste ich, dass ich Filme machen wollte.

Und was wird nun auf die Introspektion mit der "Gefangenen" folgen? Wieder ein Dokumentarfilm?

Ja, ich arbeite an der Montage eines Dokumentarfilmes für Arte. Es geht um die mexikanisch-amerikanische Grenze. Ein brisantes Thema, jetzt mehr denn je. Wir haben nun zwei Festungen, Europa und Nordamerika. Und der ganze Rest der Welt ist dabei zu krepieren! Es ist aber nicht die Politik, die mich hierbei interessiert, es ist die Intimität der Menschen, die zerbricht.

Madame Akerman[mit jedem neuen Film überrasc]

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