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Kultur: Ideologen sind Kannibalen „Muxmäuschenstill“ im Berliner Gorki-Theater

Arbeit, weiß das Lexikon, ist vor allem „wesentliches Moment der Daseinserfüllung“. Das Maxim Gorki Theater spürt in seiner neuen Studio-Reihe „Arbeit für alle“ den Bedingungen nach, die Daseinserfüllung zustande bringen könnten.

Arbeit, weiß das Lexikon, ist vor allem „wesentliches Moment der Daseinserfüllung“. Das Maxim Gorki Theater spürt in seiner neuen Studio-Reihe „Arbeit für alle“ den Bedingungen nach, die Daseinserfüllung zustande bringen könnten. Von September bis April werden sechs Uraufführungen von Theatertexten präsentiert, die sich mit Möglichkeiten und Gefährdungen gesellschaftlichen Seins in der Gegenwart auseinander setzen. Für Millionen Arbeitslose bleibt Daseinserfüllung auch nach der Wahl noch eine Utopie. Was kann da das Gorki Theater also zum Problem unserer Tage beitragen? Spiele, was sonst. Das erste heißt „Muxmäuschenstill“, eingerichtet von Nico Rabenald nach dem gleichnamigen Filmdrehbuch von Jan Hendrik Stahlberg.

Mux, der charismatische Agitator, räumt auf. Wer klaut und bei Rot über die Straße geht, wer seinen Hund rücksichtslos Häufchen machen lässt, dem setzt der Eiferer zu, mit Notizen, Tonbändern, Filmaufnahmen. Eine „Gesellschaft für Gemeinsinnpflege“ entsteht, ein Unterdrückungsapparat baut sich auf wie von selbst. Mux wird zum Wohnzimmer-Terroristen. Ohne Umschweife erschießt er die angebetete, anderweitig Lust suchende Geliebte und macht sich, als Taucher, wieder auf den Weg ins feuchte Nass, aus dem er zu Beginn hervorgekrochen kam.

Das freilich ist ein Einfall des Regisseurs Volker König. Der Gag kommt aus dem Wissen, dass der dröge Text Auffrischungen braucht. Im Verzicht auf manche umständlich ausgeführte Episode des agitatorisch bemühten Dialogs konzentriert sich König auf die kannibalistische Gefahr des Sendungsbewusstseins: Der Weltverbesserer frisst sich selber.

Der Regisseur nimmt die Charaktere nicht ernst, holt heraus, was sie an Seltsamkeiten in sich tragen – und hat seine Freude dran. Die weiße Bühne von Halina Kratochwil ist glatt und steril, ein leeres Blatt Papier, beschriftbar durch die Erfindungen der Darsteller. Was die Truppe zeigt, hat Rhythmus und Tempo, allein die zum Abgrund fahrenden und wirbelnden Stühle sind ein Genuss. Ingolf Müller-Beck zeigt den Mux versonnen, verträumt fast, mit der im Verborgenen flackernden Lust, quälen, ja foltern zu können. Silvio Hildebrandt macht den mürrisch asozialen Gerd zu einem köstlich verqueren, hintersinnig mephistophelischen Gehilfen – so genau, so heiter und selbstbewusst verspielt gelingen auch die anderen Rollen. Was dem Text an Originalität und Durchschlagskraft fehlt, wird auf der Bühne wettgemacht. Dass Ideologen nicht zu trauen ist – wer wüsste es nicht. Im Gorki Studio erinnert man sich wieder daran – mit Vergnügen. (Wieder am 22., 23. und 28. September, 20 Uhr)

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