zum Hauptinhalt

Kultur: Idylle im Abseits

Waren Sie schon mal im nordthüringischen Altenburg? Keine 40 Kilometer südlich von Leipzig, jenseits der ausgeweideten Halden des Bornaer Braunkohlereviers, ist die biedermeierliche Welt mitteldeutscher Miniresidenzen noch nachvollziehbar.

Waren Sie schon mal im nordthüringischen Altenburg? Keine 40 Kilometer südlich von Leipzig, jenseits der ausgeweideten Halden des Bornaer Braunkohlereviers, ist die biedermeierliche Welt mitteldeutscher Miniresidenzen noch nachvollziehbar. Am Fuße des Schlossbergs leuchtet das staatstragend seriöse Gehäuse des Altenburger Lindenau-Museums in frisch renoviertem Gelb. Eine Ausstellung der beachtlichen historischen Bestände der hauseigenen Kunstbibliothek bietet dem äußeren Glanz nun mehr als Paroli.

Sammlungsgeschichtlich stellt das im Revolutionsjahr 1848 eröffnete Museum eine Rarität dar. Sein Gründer und Mäzen, der königlich sächsische und herzoglich Gotha-Altenburger Minister a.D. Bernhard August von Lindenau (1779-1854), sorgte mit philanthropischem Kalkül für alles, was sich eine der Aufklärung verpflichtete museale Bildungsanstalt nur wünschen konnte: Neben der exzellenten Sammlung früher, zumeist florentinischer und sienesischer Tafelbilder des 13. bis 15. Jahrhunderts, die außerhalb Italiens ihresgleichen sucht, stiftete Lindenau antike attische Keramik, ließ Spitzenwerke Raffaels für eine Studiengalerie kopieren, kaufte in Paris Abgüsse antiker und moderner Skulpturen und erwarb 2000 Bände für eine Lehr- und Kunstbibliothek. Vieles davon hat sich erhalten und führt - unterstützt durch die behutsam erneuerten Interieurs des 1874-76 durch den SemperSchüler Julius Enger errichteten Museumsbaus - mitten hinein in den Bildungskanon des deutschen Klassizismus.

Allein: Die Idylle war stets brüchig. Es ist ein historischer Konstruktionsfehler, dass dem anspruchsvollen Museum vor Ort das entsprechende Publikum fehlt. Das laut Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin am meisten unterschätzte Museum Deutschlands gehört zwar zu den zwanzig ostdeutschen Kulturinstitutionen, denen mit der Aufnahme in das so genannte "Blaubuch" gesamtstaatliche Bedeutung bescheinigt worden ist. Doch den schwindenden Besucherzahlen und dem allzu knappen Etat - 2001 erhielt das Haus je 750 000 DM von Bund und Landkreis, dazu kamen 400 000 DM Drittmittel - wird der ministeriale Ritterschlag kaum aufhelfen.

Mehr noch: Das chronisch unterbesetzte Team um die seit 1981 als Direktorin tätige Kunsthistorikerin Jutta Penndorf verblüfft immer wieder durch ein anspruchsvoll zeitgenössisches, in Altenburg jedoch schlichtweg als Zumutung empfundenes Programm. Selbst die Werke des bis zu seinem Tod 1989 hier tätigen Gerhard Altenbourg aus der grandiosen Sammlung Rugo lockten jenseits des Eröffnungstages nur wenige Interessenten an.

"Der Jugend zur Belehrung, dem Alter zur Erholung" hatte Lindenau seinen Mitbürgern über das Portal des ersten (wenige Jahrzehnte später abgerissenen) Museumsbaus geschrieben. Wie ernst er es damit meinte, lehrt die derzeitige Sonderschau zur Lindenauschen Kunstbibliothek. Kurator Klaus Jena hat das Kunststück fertiggebracht, mit der allseits gefürchteten Flachware ein Fest fürs Auge zu arrangieren. Im Stakkato großer Autoren- und Illustratorennamen - Joachim von Sandrart, Piranesi, Schinkel, Klenze, Alexander von Humboldt - und bibliophiler Rara wird schnell das Profil der 1600 Titel umfassenden Kollektion deutlich. Neben der Kunstgeschichte, die, noch ganz im Geiste Winckelmanns, die Archäologie einschließt, erwarb Lindenau für den Unterricht an der Kunstschule (die bis Anfang des 20. Jahrhunderts bestand) die wichtigsten technischen, geografischen und ethnologischen Werke seiner Zeit. Ein Muss nicht nur für Freunde historischer Buchkunst.

Zur Startseite