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Kultur: Ihre Fahrkarten bitte!

Die Filmemacher über Politk, Moral und Ironie

Meine Herren, wie kommt man auf die Idee, sich einen wie Mux auszudenken?

JAN HENRIK STAHLBERG: Ich habe mal einen Schwarzfahrer in der UBahn beobachtet und ertappte mich bei dem Gedanken, einfach hinzugehen und zu sagen: Sportsfreund, kann ich mal deine Fahrkarte sehen? Ein ziemlich asozialer Gedanke. Aber eine starke Situation, denn wir haben beide Recht. Er hat keine Karte, das kann er nicht machen. Und ich breche das Gewaltmonopol des Staates, das kann ich auch nicht machen.

MARCUS MITTERMEIER: Wir wollen den Zuschauer in die gleiche Spannung versetzen. Der Schwarzfahrer hat Strafe verdient, aber darf man Selbstjustiz üben?

Rührt der Impuls für Ihren Film auch aus einer Unzufriedenheit mit Ihrer Arbeit als Fernsehserien-Darsteller?

STAHLBERG: Produzenten sagen oft: Wir finden das nicht gut, aber das Publikum möchte es so. Schrecklich, diese Verantwortungslosigkeit in unserem Metier.

Und das reicht als Initialzündung, um ohne Regie-Erfahrung mit einem winzigen Budget einen Film zu stemmen?

MITTERMEIER: Wir wollten ein Panoptikum der deutschen Gegenwart erstellen, mit ihrer Ver-Dieter-Bohlenisierung, der Ohnmacht gegenüber dem allgegenwärtigen Schwachsinn, der Politikmüdigkeit.

STAHLBERG: Ich bin von Haus aus links, aber was bedeutet das eigentlich? Die linke Utopie ist zusammengebrochen, es gibt eine Erosion des sozialen Netzes. Alle labern nur noch. Auch ich wusste nach dem dritten Bier immer genau, was man ändern muss. Meine Freunde sagten: Stahlberg, es reicht. Dann wird die Telekom privatisiert, und wir laden Klingeltöne für unser Handy herunter. Wie viel Lebenszeit wir damit verbringen, unser Handy einzurichten. Furchtbar!

MITTERMEIER: Der Leitgedanke Solidarität gegen die Leitgedanken Liberalisierung, Globalisierung. Wir haben einen Makro-Ökonom als Bundespräsidenten.

Sie wollen die Welt verbessern und ganz altmodisch Aufklärung betreiben?

STAHLBERG: Wenn Haltung altmodisch ist, ist Zynismus modern. Und wenn der Zynismus immer stärker wird, muss man das genauso konstatieren.

MITTERMEIER: Wir wollten nicht moralinsauer erzählen, sondern komödiantisch. Wobei einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Jan und ich kennen uns seit der Schauspielschule, seit 12, 13 Jahren. Wir haben einen ähnlichen Humor.

STAHLBERG: Der Humor im Film ist hochgradig politisch unkorrekt. Wenn wir über einen Behinderten lachen, der von Mux angekettet wird, wird die Komik subversiv. Denn der Zuschauer zieht in diesem Moment den Gedanken eines Psychopathen nach, und das zieht ihm den Teppich unter den Füßen weg. Mit Spaßgesellschaft hat das nichts zu tun.

Der Film ist sehr schnell geschnitten, sehr modern, sehr jugendlich.

MITTERMEIER: Wir haben uns immer wieder selbst ausgebremst und die Video-Ästhetik formal gebrochen und ironisiert, um jedes Glatte zu vermeiden.

STAHLBERG: Man findet sich einfach nicht zurecht in unserer Erzählweise! .

Wie haben Sie die Nebendarsteller gefunden, die ja zum Teil sehr unangenehme Rollen spielen: einen Päderasten oder einen Vater, der seine Familie tötet?

MITTERMEIER: Viele Rollen waren schwer zu besetzen, zumal wir in den Komparsen- und Künstleragenturen schon alles abgegrast hatten. Also sind wir auf den U-Bahnhof Hermannplatz gegangen und haben Leute angesprochen.

STAHLBERG: Wenn unsere Castingfrau Astrid Rosenfeld einen fragt, hat man sofort Lust mitzumachen.

Alle sind verblüffend authentisch. War es von Vorteil, dass Sie Schauspieler sind?

MITTERMEIER: Am schwierigsten war das Ausbalancieren der Laien mit den Profi-Darstellern. Es durfte nicht nach einer anderen Liga aussehen. Als Fernsehzuschauer kennen die meisten von uns den Rhythmus eines Dialogs oder die Auflösung einer Szene. Diese Standards haben wir bewusst durchbrochen.

STAHLBERG: Am Anfang redeten die „Straftäter“ viel zu viel. Die Szene, in der der „Denunziant“ in Mux’ Büro kommt, stimmte erst, als er nur noch einen einzigen Satz sagt. Und Fritz Roth, der den Langzeitarbeitslosen Gerd spielt, überzeugt mit einer Präsenz, einer Asozialität und dem Mut, übel rüberzukommen, ohne dass er viel zu sagen braucht. Dieses Schweigen gibt Mux mehr Macht, als wenn er die Pistole ziehen würde.

MITTERMEIER: Wir haben die Dialoge immer weiter reduziert. Wenn Menschen etwas erzählen, was sie wirklich erlebt haben, sind die Pausen das Stärkste. Die Not eines Menschen, der unter Druck steht, kommt in einem Blick zum Ausdruck, in der Sprachlosigkeit.

Haben Sie ohne Drehgenehmigung gefilmt?

MITTERMEIER: Meistens. Die kleinen Kameras fallen in der Öffentlichkeit kaum noch auf. Wir hatten kein zusätzliches Licht, kein Catering, kein Kostüm, keine Maske. So konnten wir unbemerkt sogar in der U-Bahn drehen.

Warum bleibt Mux am Ende kein Held?

STAHLBERG: Wir wollten nicht Missverständnissen Vorschub leisten, die etwa der extremen Rechten in die Hände spielen könnte. Am Schluss sollte klar sein: Mux ist ein Kind seiner Zeit, er verwendet die falschen Mittel für sein Anliegen, er kommt damit nicht durch. Auch bei uns nicht, seinen Erfindern.

Der deutsche Film als Fußballmannschaft: Wo sehen Sie sich auf dem Spielfeld?

MITTERMEIER: Wir sind Außenseiter, unser Film ist eine Überraschung. Er trifft den Nerv der Zeit, als bitterböse Komödie. Wir sind U 19, also Nachwuchs. Aber wir sind trotzdem in der Verantwortung. Bei der WM 2006 müssen wir antreten.Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Jan Henrik Stahlberg (34) spielt Mux und schrieb das Drehbuch. Marcus Mittermeier (35) führte Regie. Beide sind TV- und Theaterschauspieler.

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