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Kultur: Ikonen der Freiheit

Das Pariser Grand Palais zeigt französische Meisterwerke aus deutschen Museen

Friedrich der Große wusste es: In fürstlichen Gemäldesammlungen großen Stils sollen Italiener und Niederländer vertreten sein – und keine Franzosen. Der Monarch, der für seine Privatsphäre eine erlesene Sammlung französischer Gemälde und Skulpturen zusammengetragen hatte, wandte sich der italienischen Hochrenaissance und dem niederländischen Barock zu, als er Mitte der 1750er Jahre in Sanssouci eine anspruchvolle Bilderkollektion aufzubauen begann. Correggio, Rubens, van Dyck: Das waren die Namen, die Friedrich jetzt wollte. Als ihm 1754 ein Gemälde des Watteau-Epigonen Nicolas Lancret angeboten wurde, lehnte er den Kauf mit der Begründung ab: „Zurzeit kaufe ich gerne Gemälde von Rubens, von van Dyck, in einem Wort: Gemälde der großen Meister.“ Die Galanterie war passé, Konkurrenzgedanken und fürstliche Anpassung bestimmten die Ankaufspolitik. Auch in den berühmten Gemäldegalerien von Dresden, Wien, Düsseldorf, Kassel und Braunschweig hing damals kaum ein französisches Bild. So prägend die Literatur oder die Architektur Frankreichs an den deutschsprachigen Höfen waren, so wenig interessierte offenbar die Malerei.

Dieses überraschende Fazit wird derzeit in einer wegweisenden Ausstellung im Pariser Grand Palais beleuchtet. Und zugleich nuanciert: Zwar besaßen die großen Galerien verhältnismäßig wenig französische Kunst, doch es gab kleinere Höfe, die sie intensiv sammelten. So verfügen deutsche Sammlungen heute über einen reichen Bestand französischer Gemälde. Und so bietet die Pariser Ausstellung, eine Kooperation der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn mit den Staatlichen Museen Frankreichs, den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und dem Haus der Kunst in München, einen schwelgerischen Augenschmaus an französischer Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts aus deutscher Perspektive.

Hier vermessen fast 200 Gemälde auf höchstem Niveau den malerischen Schatz, den Deutschlands sammelleidenschaftliche Fürsten sowie einige Bürger bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zusammengetragen haben. Mythologischen Szenen von Poussin aus Dresden, Landschaften von Lorrain aus München und Frankfurt, zauberhafte Stillleben von Chardin aus Karlsruhe, die galanten Feste Watteaus und seines Kreises aus Berlin und Potsdam, Porträts von Largillière aus Braunschweig, Gemälde von Greuze, Boucher, Fragonard, David: Selten wurden in diesem Umfang und mit dieser Qualität Meisterwerke der französischen Malerei präsentiert. Eine sichtbare Geschichte der französischen Kunst also, aber eine deutsche Geschichte. Gerade dies macht den Reiz der Ausstellung aus.

Pierre Rosenberg, Exdirektor des Louvre, hat sie eingerichtet. Dass sie ganz im Zeichen des deutsch-französischen Dialogs steht, ist eine Selbstverständlichkeit. Zu DDR-Zeiten war Rosenberg bereits auf der Suche nach französischen Bildern durch Ost- und Westdeutschland unterwegs. Jetzt reiste der Franzose zusammen mit einem jungen deutschen Kunsthistoriker aus Paris, David Mandrella, elfmal über den Rhein, um über achtzig deutsche Museen, Schlösser und Privatsammlungen nach französischen Werken durchzukämmen.

Auf solchen Touren hat Rosenberg immer eine kleine Taschenlampe bei sich: Kein Depot und kein Hinterzimmer werden außer Acht gelassen, kein noch so verstaubtes Bild nicht auf seine Zuschreibung überprüft. Vor fünfundzwanzig Jahren hatte der große Kenner französischer Kunst eine vergleichbare Operation in amerikanischen Museen durchgeführt. Jetzt ging es darum, möglichst alle französischen Bilder des 17. und 18. Jahrhunderts in deutschem Besitz zu lokalisieren. Ein vollständiges Inventar wurde im Zuge der Ausstellungsvorbereitungen angelegt: Es zählt rund 2000 Gemälde. Zwar erhoffte sich Rosenberg von seinen Reisen sensationelle Entdeckungen. Doch die gab es nicht – dafür aber nicht zu unterschätzende kulturgeschichtliche Erkenntnisse.

Warum hängt das schönste Bild des französischen 18. Jahrhunderts, das „Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint“ von Watteau, im Schloss Charlottenburg und nicht in Paris – und bedauerlicherweise auch nicht in der jetzigen Ausstellung? Wo hat Karlsruhe seine Chardins, Schwerin seine vielen Oudrys her? Warum sind die erotischen Spielereien von Boucher und Fragonard hingegen so selten vertreten? Was machte Poussin und Lorrain dagegen so attraktiv, dass ihre Werke im großen Stil gesammelt wurden? Galten diese beide vielleicht nicht als Franzosen, sondern nach ihrem Aufenthaltsort als Römer? Wie ist es denn überhaupt möglich, dass eines der berühmtesten Bilder der Französischen Revolution, ihre Ikone schlechthin, nicht im Louvre, sondern in der Hamburger Kunsthalle hängt? Die Allegorie von Jean-Baptiste Regnault, „Freiheit oder Tod“, wurde 1795 gemalt und im Salon ausgestellt. Sie missfiel aber durch ihre Radikalität den von der Schreckensherrschaft traumatisierten Parisern und fand offenbar keinen Abnehmer. Spätestens 1818 tauchte sie in Hamburg auf: Ein Privatgelehrter kaufte sie für seine Sammlung. Und schenkte sie 1846 der neuen Hamburger Kunsthalle.

Hinter jedem französischen Bild in Deutschland verbergen sich Beziehungen, Briefwechsel, Auktionshäuser und Kunstvermittler, ästhetische und museumstheoretische Debatten. Der Ausstellung und ihrem vorzüglichen Katalog gelingt es, grenzüberschreitende Geschmacksverschiebungen, Momente eines noch nie derart systematisch erforschten deutsch-französischen Kulturaustausches im Bereich der Malerei zu beleuchten. Dass dabei mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben werden, darf als Erweiterung des Forschungshorizonts zu den deutsch-französischen Beziehungen begrüßt werden.

Paris, Grand Palais, bis 31. Juli, Katalog 59 €. Anschließend München, Haus der Kunst, sowie Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle. – Die Autorin lehrt Kunstgeschichte an der TU Berlin. Sie ist die Verfasserin des Standardwerkes über den napoleonischen Kunstraub in Deutschland, „Patrimoine annexé“, 2 Bände, Paris 2003.

Bénédicte Savoy

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