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Kultur: Im Affekt

Das Berliner Maerzmusik-Festival startet mit einem Eifersuchtsdrama

Der Auftakt ist nicht unbedingt das, was man von einem großen Festival für zeitgenössische Musik erwartet. Weder mit einer glanzvollen Uraufführung noch einem großen Spektakel eröffnet die neunte „Maerzmusik“ – sondern mit einer knappen, 12 Jahre alten Kammeroper des Italieners Salvatore Sciarrino. Noch dazu in einer Produktion, die nicht einmal Neuigkeitswert beanspruchen kann: Das harmlos dekorative Arrangement Rebecca Horns wurde bereits vor zwei Jahren in Salzburg gezeigt. Fast demütig wirkt dieser Beginn, und man kann sich durchaus fragen, ob ein Berliner Festival mit dem Anspruch überregionaler Reichweite nicht ein entschiedeneres Startsignal gebraucht hätte.

Das spricht natürlich nicht gegen Sciarrinos Oper: In der Volksbühne erweist sich das Eifersuchtsdrama „Luci mie tradici“ („Meine trügerischen Augen“) als kleines, feines Stück, das in seiner kunstvollen Askese der Mittel jedoch eher wie eine erweiterte Kammerkantate wirkt. Oder auch wie eine Stilübung, die der Komponist mehr für sich selbst als für die Bühne geschrieben haben mag. Denn ein modernes Stück Musik ist Sciarrinos Oper nur zum kleineren Teil. Zum größeren ist es eine intensive Auseinandersetzung mit der Musiksprache des italienischen Frühbarock: Als würde sich hier, beim recitar cantando Claudio Monteverdis und seiner Zeitgenossen, die eigentliche Begründung dafür finden lassen, warum Gefühle überhaupt gesungen werden müssen, seziert der 1947 geborene Sizilianer hier die Technik des verzierten Gesangs unter den Laborbedingungen der Kammeroper.

Gehaltene und im Stakkato gestotterte Töne, fallende und abbrechende Tonlinien – das ganze expressive Vokabular dieser barocken Affekte legt Sciarrino den vier Akteuren seines Dramas in den Mund und dreht es oft nur eine Wendung weiter. Das ist Musiktheater in größtmöglicher Konzentration: Allein die Stimmen sind es, die hier die Handlung bestimmen, während die sparsam eingesetzten Instrumente des Klangforums Wien unter Leitung von Beat Furrer im Graben mit Hauch-, Zisch und Zwitscherlauten kaum mehr als einen atmosphärischen Rahmen schaffen und den Handlungsverlauf mit ein paar delikat fragmentierten tänzerischen Intermezzi gliedern.

Das ist nicht ohne Reiz und passt zur Atmosphäre eines neapolitanischen Barockpalastes, in dem die an die Vita des fürstlichen Komponisten und Doppelmörders Carlo Gesualdo angelehnte Geschichte spielt. Der filigrane, lichte Instrumentalsatz schließt die Akteure wie in einen goldenen Käfig ein, die Konventionen des Ziergesangs sind zum einen elitärer Jargon einer barocken Upper Class, wirken aber auch wie ein Korsett, das den Gefühlen manchmal die Luft abschnürt, sie deshalb aber nur umso schmerzlicher und dringlicher spürbar macht. Es ist eine künstliche Welt, in der sich die Akteure bewegen: der Herzog Malaspina (Otto Katzameier) und seine Gemahlin (Anna Radziejewska), deren Liebhaber (Kai Wessel) und Malaspinas Diener (Simon Jaunin), der seinem Herrn das Verhältnis der beiden offenbart. Sicher hätte das Stück durch eine Inszenierung mit stärkerem Mut zur Stilisierung noch gewonnen – Horns im großbürgerlichen Realismus angesiedelte Kostüme leuchten dagegen nicht wirklich ein. Eine Inszenierung auch, die mutiger mit dem Ende des Werks umgegangen wäre: Denn dass „Luci mie tradici“ eher wie eine Studie wirkt, liegt vor allem daran, dass es für die katastrophische Entwicklung des Stücks keine musikalische Sprache findet. Wenn der Herzog seiner Frau die Leiche ihres Geliebten zeigt und sie anschließend ermordet, verstummen die Instrumente und auch die Sänger äußern ihre Gefühle fast nur noch sprechend. Das Stück endet still, wie mit einem fragenden Achselzucken. Als wüsste der Komponist noch nicht, wie weit Musik gehen kann. Vielleicht findet sich im Festivalverlauf ja noch eine Antwort.

Das Festival findet bis zum 28. März statt. Informationen: www.maerzmusik.de

Jörg Königsdorf

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