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Kultur: Im Auftrag des Herrn

Von Frederik Hanssen Ein Zeichen? Ein Zufall?

Von Frederik Hanssen

Ein Zeichen? Ein Zufall? Am dem Tag, an dem Oliver Messiaens Oper über Franz von Assisi erstmalig an der Deutschen Oper Berlin gezeigt wird, treffen in Frankfurt an der Oder die Fenster der Marienkirche aus dem 14. Jahrhundert wieder ein, die russische Soldaten am Ende des Zweiten Weltkriegs nach St. Petersburg gebracht hatten. Messiaen, der tief in seinem Glauben verwurzelte französische Komponist, hätte sich gefreut über die Koinzidenz – galt ihm doch die mittelalterliche Bleiglaskunst als ideale optische Entsprechung seiner Ästhetik: Seine „Musik der Farben“ möge denselben Effekt haben wie die Rosetten des Mittelalters, wünschte sich der 1908 geborene, 1992 gestorbene Meister: „Sie beschert uns das Überwältigtsein.“

Wie schade, dass sich Daniel Libeskind bei seinem Debüt an der Deutschen Oper so gar nicht auf Messiaens Farbewelt einlässt – und stattdessen lieber ein lang gehegtes eigenes Projekt realisiert. Den Schöpfer des Jüdischen Museums in Berlin für eine Bühnenproduktion zu gewinnen, war ein echter PR-Coup des umstrittenen Intendanten Udo Zimmermann. Seine erste Spielzeit sollte Messiaens fünfstündiges opus summum in der Sicht des Avantgardearchitekten krönen.

Viel Überredungskunst brauchte Zimmermann nicht: Er habe soviel Lust auf Theater, dass ihm jedes Stück recht sei, bekannte Libeskind freimütig im Vorfeld. Die Premiere am Sonnabend allerdings zeigte, dass sich Libeskinds Enthusiasmus zunächst ganz im Theoretischen niederschlug (wie im Bereich der Baukunst auch – war doch das Jüdische Museum das früheste realisierte Werk des 1946 geborenen Postmodernisten). Vor 20 Jahren entwickelte Libeskind für die Kunstbiennale in Venedig eine Writing Architecture Machine aus dem Geist mittelalterlicher Handwerksdisziplin, ohne modernes Werkzeug und Elektrizität. Sieben mal sieben Würfel lassen sich einzeln um ihre Achsen bewegen, ihre Seiten sind jeweils mit Heiligenn in Spiegelschrift, Architekturmodellen, Emblemen oder lichtreflektierendem Hochglanzlack bedeckt. Die Form des Quadrate-Quadrats hat Libeskind dann im Stelenwald des E.T.A. Hoffmann-Gartens im Jüdischen Museum zitiert.

Nun also beherrscht die Architecture Writing Machine die Bühne der Deutschen Oper: Eine gigantische Installation, die im dämmrigen Schimmer des ersten Bildes zunächst an Wagners Nibelheim erinnert, eine Werkhalle für Arbeitssklaven, bedrückend wie die Wirtschaftswelten von „Metropolis“. Durch wechselnde Beleuchtung und das mal parallele, mal individuelle Rotieren der Hohlkörper werden im Lauf des Abends immer neue Assoziationsfelder aufgerissen, schießen dem Betrachter Gedanken an wilhelminische Klassenzimmer oder an den Stelenwald des Holocaust-Mahnmals durch den Kopf, erscheinen die 49 schwarzgrauen Kuben als rätselhafte Stadtlandschaften, mysteriöse Codizes - oder auch einfach nur als singende Steine.

Einen Akt lang vermag die Bühnenskulptur zu faszinieren, gerade auch in ihrem Verzicht auf jegliche christliche Symbolik. Sind die Variationsmöglichkeiten jedoch durchgespielt, drängt sich das Gefühl auf, dass diese Installation weder in Beziehung zu den Personen der Oper tritt noch zu Messiaens Musik selber. Im Gegenteil: Dass Libeskind in Kostümen wie Bühne fast ausschließlich mit Varianten von Schwarz und Weiß arbeitet, rückt die Szene in die Nähe Arnold Schönbergs, wie Messiaen ihn sah: Dessen Musik sei „nicht farbig“, erklärte er, „sie ist grau – eine wertmindernde Eigenschaft.“

Messiaens eigene Klangwelt dagegen erglänzt in allen Schattierungen des Regenbogens, seine von Naturtöne und Vogelstimmen erfüllten Partituren, in denen sich mittelalterliche Traditionen mit fernöstlichen verbinden, gehören zum Schillerndsten, Klangsinnlichsten, das die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Und der junge Dirigent Marc Albrecht lässt diese Qualitäten Messiaens mit dem hervorragenden Orchester der Deutschen Oper auf faszinierende Weise erfahrbar werden.

Den1964 geborenen Albrecht als Ersten Gastdirigenten an die Deutsche Oper zu verpflichten, war Udo Zimmermanns bisher wohl glücklichste Tat. Mit einer klugen Mischung aus Strenge und Inspiration brachte Albrecht die nicht leicht zu begeisternden Musiker des Hauses binnen kurzem auf seine Seite. Mit dieser Premiere hat er sich in den erlesenen Kreis mutiger Maestri katapultiert, die sich an den „Saint Francois“ wagten: Seji Ozawa, der 1983 die Pariser Uraufführung dirigierte, Esa-Pekka Salonen und Kent Nagano, die 1992 Peter Sellars Deutung bei den Salzburger Festspielen betreuten, Jiri Kout, der das Werk 1998 in Leipzig stemmte.

Weil Messiaen alle theatertypischen Elemente aus dem Leben des Heiligen Franziskus eliminierte, um sich ganz in die Darstellung der fortschreitenden inneren Erleuchtung seines Helden zu vertiefen, trägt allein der Klangkommentar aus dem Orchestergraben die Handlung. Dem Hörer ergeht es dabei wie dem Betrachter mittelalterlicher Kirchenfenster: Man muss nicht jedes Motiv wiedererkennen, um genießen zu können, das Wissen um die ungeheure handwerkliche und intellektuelle Arbeit (2000 Partiturseiten!) ist keine Voraussetzung für das sinnliche Erlebnis. Zumal der missionarisch veranlagte Katholik nie vorm großen Pathos zurückschreckt: Glockenklang, Triangel-Jubel und Trompetenfanfaren begleiten den Freudentanz des geheilten Leprakranken, allmächtig dröhnt der 120 Stimmen starke Chor die Gottesworte, gleißendes C-Dur umrauscht die Apotheose des Heiligen.

Präsent sind neben Messiaens Lieblingstieren, den Vögeln, auch seine Lieblingskomponisten: man hört Wagners „Siegfried“-Drachen im tiefen Blech, vermeint ein Zitat aus Debussys „La mer“ zu entdecken, begegnet manch japanisch anmutender Motivgestalt der Xylo- und Marimbaphone, der Schlagwerker. Und dann sind da natürlich die drei Ondes Martenot, jene 1928 erfundenen elektronischen Zauberkästen, die vom tierischen Schrei bis zum Handysound die räteslhaftesten Töne hervorbringen können.

119 Musiker schreibt Messiaen vor - und doch bleibt jedes Wort verständlich. Frode Olsen leistet in der enormen Titelpartie Grandioses, Ofelia Sala betört als Engel mit himmlischen Klängen, Chor und Ensemblesolisten demonstrieren, dass an der Deutschen Oper – allen Konflikten mit dem Intendanten und der Politik zum Trotz – wieder ein neuer Mannschaftsgeist herrscht.

Auch wenn Udo Zimmermann es in der Pressekonferenz verschleiert, nachdem Daniel Libeskind im Vorfeld zwei Choreografen „verschlissen“ hatte, weil er meinte, alles selber machen zu können, wurde ihm in letzter Minute doch noch ein Profi zur Seite gestellt: Die Regisseurin Antje Kaiser garantiert ein Minimum an Personenführung. Sie erzählt nicht realistisch, inszeniert eher eine Art minimalistisches Mysterienspiel mit einer Prise Bob Wilson (in der Bewegungsgeschwindigkeit), Achim Freyer (Körpersymbolik) und Oskar Schlemmer (Grotesktanz des Engels). Angesichts der enormen Kraft der Musik durchaus ein gangbarer Weg.

Brüder und Schwestern, Architekten und Vogelfreunde, Katholiken, Juden und Atheisten in Stadt und Land, füllt die Deutsche Oper am 2. und 6. Juli! Oder kauft euch, in Gottes Namen, Karten für die Wiederaufnahme im September! Aber lasst euch dieses sinnverwirrende, anmaßende, überwältigende Musikerlebnis nicht entgehen!

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