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Kultur: Im Auge des Betrachters

Es werde Licht: Münchens Pinakothek der Moderne richtet dem amerikanischen Künstler Dan Flavin eine beeindruckende Retrospektive aus

Licht ist nicht sichtbar. Sichtbar sind nur beleuchtete Gegenstände. Der Farbeindruck entsteht auf der Netzhaut des menschlichen Auges. Diese Erkenntnis haben die Impressionisten in ihrer Kunst verwirklicht. Doch blieb es das gemalte Bild, auf dem sich der Wandel vollzog. Wie aber, wenn die Veränderung der Wahrnehmung nicht länger von einem illusionistischen Bild, sondern von der Realität selbst ausginge?

Dan Flavin hat das Licht zu seinem Material gemacht. Fotografien können nur unzulänglich wiedergeben, wie seine Skulpturen aus handelsüblichen Neonröhren den umgebenden Raum verwandeln. Raum ist eine optische Täuschung oder, besser gesagt, eine Konstruktion. Dan Flavins Lichtskulpturen schaffen eigene Räume, die nicht länger durch ihre Ausdehnung bestimmt sind, sondern durch ihre Farbigkeit und die Intensität des Lichtes, die zugleich die Wahrnehmung angrenzender Räume verändern.

In Münchens Pinakothek der Moderne ist jetzt die umfassendste Retrospektive eröffnet worden, die dem 1933 geborenen und vor zehn Jahren, am 29. November 1996, allzu früh verstorbenen Flavin je zuteil wurde. Kein Ort könnte geeigneter sein als das strahlend weiße Raumgefüge des Architekten Stephan Braunfels. Dan Flavin zählt zu den Mitbegründern und Meistern der minimal art der sechziger Jahre; Braunfels wiederum hat den white cube der neutralen Museumsräume auf die Spitze getrieben und zugleich in zahlreichen eleganten Raumvariationen durchkomponiert. Wie hier Architektur und Kunst harmonieren, ist ein Ereignis.

Nie zuvor hat die vor gut vier Jahren eröffnete Pinakothek der Moderne eine derart umfangreiche Ausstellung ausgerichtet. Ohne die Unterstützung von Philip Morris sowie einem anonymen Mäzen wäre die Ausstellung nicht möglich gewesen. Das beeindruckend große Moderne-Museum verfügt über keinen nennenswerten Ausstellungsetat. So aber konnte das halbe Obergeschoss leergeräumt werden, um Flavins in überwältigender Fülle zusammengetragenen Lichtskulpturen angemessenen Platz zu geben.

Und sie brauchen Platz: Denn die Intensität des Lichtes, das die Neonröhren ausstrahlen, nimmt jeden noch so großen Raum in Beschlag. Die türlosen Durchgänge zwischen den einzelnen Sälen ermöglichen jenes eigentümliche Phänomen, dass sich die Empfindung des Auges nach der intensivsten Farbe richtet und beispielsweise von einem grün ausgeleuchteten Raum aus die angrenzenden Weißräume als rosafarben wahrnimmt.

Mit dem Grün hatte es Flavin ohnehin. Bei seiner legendären Ausstellung 1968 in der Münchner Galerie von Heiner Friedrich – dem späteren Mitbegründer der New Yorker Dia Art Foundation – spielte er die drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau durch, um im abschließenden Raum aus Gelb und Blau Grün zu mischen – eigentümlicherweise stets die am stärksten leuchtende Farbe seiner Neonröhren. Jetzt ist diese Installation im Braunfels-Bau nochmals zu bewundern.

München war stets ein gutes Pflaster für Flavin. Für den „Kunstbau“ des Lenbachhauses, den Hohlraum über dem U-Bahnhof Königsplatz, fertigte er 1994 eine grandiose, 110 Meter lange Lichtinstallation, die so etwas wie die Essenz seiner lebenslangen Beschäftigung mit den wenigen Farben der industriell fabrizierten Leuchtstoffröhren darstellt.

Anders als im unterirdischen „Kunstbau“ korrespondieren und konkurrieren Flavins Installationen in der Pinakothek der Moderne mit dem durch Seitenfenster und Oberlichter einfallenden Tageslicht. Das war Flavin stets wichtig. Je stärker das Tageslicht, desto mehr schwindet die Strahlkraft seiner Skulpturen; je dunkler der Nachmittag, desto mehr erobern sie den Raum. Die zentrale Achse des Gebäudes, weit über 100 Meter lang, ist mit der überhaupt vollständigsten Zusammenstellung von Flavins „monuments (for V. Tatlin)“ gesäumt, die es je gab – gut zwei Dutzend der über einen Zeitraum von dreißig Jahren hinweg entstandenen Variationen kühl-weißer Arrangements, die den emphatischen Denkmalsbegriff von Wladimir Tatlins Utopie gebliebenem „Denkmal für die III. Internationale“ von 1918/20 ironisch ins Alltägliche des industriell gefertigten Objekts überführen. Weißes Licht vor weißen Wänden bei weißem Tageslicht – das ist ein Exerzitium, das genaues Hinschauen verlangt, dieses aber mit dem Ertrag feinster Nuancierungen belohnt.

Flavin zählt zu den Hauptvertretern des Minimalismus, der in dem Münchner Museum seine wohl stärkste Präsenz in Deutschland gefunden hat. Als die minimal art Ende der sechziger Jahre aufkam, stand sie in Konkurrenz zur Pop Art, die hierzulande potente Sammler begeisterte. Recht durchgesetzt hat sich hingegen die Kunst von Flavin, Don Judd, Sol LeWitt oder Carl Andre in Deutschland nicht. Dass Berlin mit der Lichtinstallation am Hamburger Bahnhof eines der letzten Werke Dan Flavins besitzt – es leuchtet allnächtlich über den weiten Stadtbahnbogen hinweg –, ist ein Glücksfall.

München zeigt jetzt, wie eine Museumsausstellung dieser scheinbar kopflastigen, tatsächlich aber erstaunlich sinnlichen Kunst aussehen muss: großzügig, raumgreifend, weitläufig. Man möchte das farbige Licht mit Händen greifen. Allein, es bleibt eine Sensation auf der Netzhaut. Gegen jeden Verdacht von Metaphysik hat sich Flavin stets gewandt – dabei sehr wohl wissend, dass seine Lichträume eine Ahnung von Transzendenz in unsere nüchterne Gegenwart holen, wie sie einst den farbigen Lichträumen gotischer Kathedralen ebenso eigen war wie den goldgrundierten Ikonen des orthodoxen Ostens, nach denen er seine frühen Werke Anfang der sechziger Jahre als „Icons“ bezeichnete. Das Licht, das die Impressionisten auf den Reflexen bewegten Wassers und blühender Wiesen suchten, hat Flavin zu körperlicher Gegenwart gebracht. Und nur das Auge des Betrachters kann sie ganz erfassen.

Was für ein Paradox: dass aus gewöhnlichen Industriewaren geschaffene, gewissermaßen objektive Kunst nur subjektiv erkannt werden kann. Damit steht Flavin in der philosophischen Tradition der amerikanischen Kunst, die die göttliche Schönheit der Natur zuvörderst in die Wahrnehmung des Betrachters gestellt sah.

München, Pinakothek der Moderne, bis 4. März, Katalog (in englischer Sprache) 29,90 €. – Mehr unter www.danflavin.de

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