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Kultur: Im Bett mit Brecht

Bei Anruf Avantgarde: Das Nachwuchs-Festival „Freischwimmer“ in den Berliner Sophiensälen

Von Sandra Luzina

Der gute alte Rückkopplungseffekt! Wenn die beiden langhaarigen Jungs zu Beginn von „Exil (oder von der Abschaffung der Gegenwart)“ E-Bass und -Gitarre einstöpseln, dann steuern sie sofort auf den gefürchteten R-Effekt zu. Sie kommen zu früh – und sind zu spät dran. Dem in Iran geborenen und in Hamburg lebenden Regisseur Dariusch Yazdkhasti schwant natürlich, dass er die Revolte nicht erfunden hat. Sein männlicher Protagonist muss deshalb darüber reflektieren, dass es so nicht mehr weitergeht mit Sex, Drugs & Rock’n’Roll. Welche Protestform bleibt heute noch, wo nicht einmal die korrekte Frisur klar ist?

R-Effekt oder V-Effekt? Rückkoppelung oder Verfremdung, Pop oder Politik? Das ist nur eines der vielen Dilemmata, vor denen die Jungregisseure heute stehen. Die Sophiensäle Berlin haben im Verbund mit Kampnagel Hamburg, dem FFT Düsseldorf und dem Theaterhaus Gessnerallee Zürich wieder junge Talente ins Rennen geschickt. In Berlin fiel nun der Startschuss für das mittlerweile dritte Nachwuchs-Festival „Freischwimmer“. Das Auftakt-Wochenende ergab ein konfuses Generationenbild. Zu sehen waren: erste Spiele – letzte Riten.

Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? So formulierte einst Kant die drei fundamentalen Fragen des Menschen. Bei Martin Clausen heißt das dann „Kann man können wollen“. Oder auch nicht! Bei diesem Festival begegnen einem immer wieder Figuren, die nicht können, nicht können wollen. Auf der Bühne resultiert daraus ein heiterer Widerspruch aus Tunix-Attitüde und szenischem Aktionismus. Der ging freilich nur mit gebremstem Elan über die Bühne. Schlaffheit als Verweigerung?

In „Bier für Frauen“ von Kerstin Lenhart und Michael Böhler turnen sich drei mäßig sportbegabte Freunde, denen ihr Leben entglitten ist, durch einen Fitness-Parcours. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes Problemzonengymnastik. Auf dem Schwebebalken oder auf dem Hüpfball werden diverse Problemchen erörtert. Die Frage, ob sie mit Leonard Cohen ins Bett gehen würden, wird dabei schnell beantwortet. Felicia Zeller hat die Dialoge angeblich Bier trinkenden Frauen abgelauscht und serviert uns pseudofeministische Albernheiten. Die lächerliche Sportlerriege mit Frottee-Schweißbändern provoziert mit ihren ungelenken Turnübungen viel Gelächter beim überwiegend jugendlichen Publikum. Den Dialogen geht aber schnell die Puste aus. Zumal das Kreisen ums Ego bald in Katzenjammer mündet.

Dann sich doch lieber an der guten alten Dialektik abrackern. In „Bei Anruf Avantgarde (Schade, dass es nicht geklappt hat)“ von Simone Eisenring und Milo Rau würden die Schweizer Darsteller am liebsten als ungarische Zigeunerkapelle auftreten. Schweizer als Gipsies – das wär doch ein toller V-Effekt. Zu Beginn spielen sie sogar einen Gipsy-Folksong. Bis das rote Telefon läutet. Die Jungen müssen sich an der historischen Avantgarde abarbeiten, so lautet der Auftrag, in Gestalt von Bertolt Brecht und Helene Weigel. Bert mit der Schiebermütze, Helene mit dem Haarknoten sehen ganz schön alt aus, wenn sie mit dem „gewaltigen Lehrstück“ loslegen. B.B. postuliert wieder: Nieder mit den privaten Emotionen! Eisenring/Rau machen sich einen Spaß daraus, den Widerspruch zwischen politischer Überzeugung und privaten Emotionen am Beispiel des Promi-Paares zu demonstrieren. Dem wird dann ein Mongo-Sohn geboren – eine Allegorie für das Theater in der Brecht-Nachfolge? Kill your idols : „Bei Anruf Avantgarde!“ ist eine lustvoll-intelligente Brecht-Demontage. Doch die Frage nach einem zeitgemäßen politischen Theater ist damit nicht vom Tisch.

In „Exil“, das sich auf die Suche nach dem unverbrauchten Gefühl macht, fällt der Satz: „Es ist doch Konsens, Deutschland Scheiße zu finden. Das ist doch Mainstream.“ Das erscheint hier als das größte Dilemma: Dagegensein reicht heute nicht. Nur können wollen ist aber auch keine Perspektive.

Bis 29.10., Termine unter www.freischwimmer-festival.com

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