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Kultur: Im Bett mit Cécilia

Alberto Moravia glaubte, daß jeder Mensch seinen eigenen Schlüssel zur Wirklichkeit besitzt. Für Balzac war es das Geld, für Proust der Snobismus, für Conrad das Meer, für Dostojewski der Mord und für ihn, nunja, war es der Sex.

Alberto Moravia glaubte, daß jeder Mensch seinen eigenen Schlüssel zur Wirklichkeit besitzt. Für Balzac war es das Geld, für Proust der Snobismus, für Conrad das Meer, für Dostojewski der Mord und für ihn, nunja, war es der Sex. Snobismus. Geld. Morden am Meer. Das hatte noch Exklusivität. Aber Sex? Ein Allerweltsschlüssel. Ein Jedermannsinstrument. Künstler sein heißt eigentlich nur, sich jederzeit einen Ersatzschlüssel machen zu können. Sind Ersatzschlüssel Weltenöffner? Natürlich hat Moravia wie alle Dichter das Wesentliche verschwiegen. Er meint gar nicht, daß man, den Fuß probeweise in der Tür, in die neu aufgetane Welt hineinschaut. Sondern, denkt Moravia, wer aufschließt, muß auch eintreten. Das ist der Preis. Doch machen wir das gleich mal am Film. "Meine Heldin" von Cédric Kahn nach Alberto Moravia.

Martin ist Philosoph. Das ist nach volkstümlichen Vorstellungen die asexuellste Existenzform überhaupt. Und richtig, Martin sagt, er habe jenes körperbetonte Kapitel seiner irdischen Existenz bereits abgeschlossen. Er denke jetzt dafür. Und sieht wie alle Denkenden ungemein unglücklich aus. Den fürsorglichen Rat eines Arztes, dringend einen Psychiater zu konsultieren, weist er brüsk zurück: Psychiater seien ihm viel zu rational. Es gibt ein paar sehr schöne Wortwechsel in diesem Film. Und man sieht es sofort - dieser Philosoph ist verloren. Der Anfang von "Meine Heldin" hält eine tragikomische Balance. Denn mehr Verständnis für selbstgewählte Askesen, ihren Genuß, ihre Qual, darf man heute nicht mehr erwarten. Jede Verwirklichung schon ein Verlust, wußten noch die Romantiker. In unserer Verwirklichungsgesellschaft hat man es vergessen. Der Philosoph wird zur komischen Figur. Er bekommt ein Bild geschenkt. Ein Bild von sehr zweifelhafter ästhetischer Qualität, ein pornographisches Bild beinahe, aber der Philosoph erkennt etwas Unerhörtes darauf. Er erkennt eine Obsession. Moravias Weltentür geht leise auf. Dieser Maler kann zwar nicht malen, denkt der Philosoph, aber er ist ein Besessener. Martin will ihn gleich besuchen.

Da ist der Maler gerade gestorben. Den lächerlichsten, den dramatischsten Tod. Tod durch Sex. Das Mordwerkzeug ist noch da. Es ist nicht schön, ja, es hat jene Leere, jene vollendete Geistferne im Gesicht, die es für Menschen wie Martin unwiderstehlich macht. Moravias Weltentür schließt sich hinter Martin, dem Philosophen. Er kann nicht mehr raus. Diese Schlüssel, und das hatte Moravia auch nicht gesagt, funktionieren nie von innen.

Alles war absehbar. Nur daß unglückliche Menschen wie Martin dabei so ungemein viel reden würden, das nicht. Aber "Meine Heldin" ist ein französischer Film, und Martin (Charles Berling) ist ein französischer Philosoph. Da ist man schon verpflichtet, die eigene Lage zu analysieren. Sie ist vor dem Sex beispielsweise eine andere als hinterher, weshalb Martin nur noch den Augenblick, den der Maler so hoch bezahlen mußte, von der konsequenten Versprachlichung ausspart. Obwohl, sollte ein wirklicher Philosoph nicht auch hier. . .? Martins ungeheure Beredsamkeit ist mitunter sehr anstrengend, aber ihr verdanken wir die schönen Dialoge zwischen ihm und Cécilia. Cécilia, an der Martins Sprachlotungen nichts ausrichten. Cécilia, die schweigt, wenn sie redet, die redet, wenn sie schweigt. Es macht keinen Unterschied. Ein Stück Natur, in sich ruhend. Ein unendlicher Schoß, der Martin aufnimmt, der ihn aussaugt, der ihn umbringt und doch vollkommen gleichgültig bleibt dabei. Denn Cécilia hat nichts getan, nichts, was die Philosophen "handeln" nennen würden - Cécilia existiert. Es gibt sie. Mehr nicht.

Nun ist es sicher nicht einfach, heute jemanden zu finden für diese Rolle des alleshervorbringenden und allesvernichtenden Urschoßes in Menschengestalt. Aber die junge Sophie Guillemin ist der Aufgabe gewachsen. Mit einem Übermaß an Leiblichkeit an der Grenze zum Ordinären, zum Formlosen. Und mit einer seltsamen Überlegenheit ihres naturhaften Intellekts. Welch Klischee, welch ältestes Frauenbild, wird jetzt mancher denken. Aber wer verbietet eigentlich den Klischees (oder ist es nicht eher eine platonische Idee - die Idee des Urweibes) das Existieren?

Natürlich ist ein Film viel schwerer als eine Filmkritik. Denn er muß das zeigen, worüber andere nur zu reden brauchen. Sex als Schlüssel. Aber wieso nur in eine Welt? Immer neue Türen in immer neue Welten fliegen auf, und wahrscheinlich kann Martin auch deshalb nicht mehr aufhören mit dem Türenöffnen, weil ein Philosoph ja schließlich rauskriegen muß, was hinter der allerletzten ist. Nur Cécilia wird der Mann auf die Dauer etwas langweilig, sie nimmt sich einen zweiten dazu. Am grausamsten ist doch immer die reine Natur. Charles Berling und Sophie Guillemin bieten eine artistische Spitzenleistung von vollendetem Rhythmusgefühl, die Videotheken-Normalverbraucher sicher für dilettantisch gefilmte Pornographie halten würden.

Jeder weiß, was hinter der allerletzten Tür ist. Martin auch. Nur daß er sich nichts anderes mehr wünschen kann. Den letzten tiefsten Ton dieses Wahns findet "Meine Heldin" nie. Vielleicht wollte Cédric Kahn das auch nicht. Er wendet das Tragödien-Thema ins Lakonische. Thomas Mann hat das auch mal gemacht. "Tristan". Eine Groteske.

Blow Up, Filmkunst 66, fsk und Scala

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