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Kultur: Im Einbaum nach Berlin

WIEN . Wir sind in Wien, und der Schauspieler Robert Hunger-Bühler macht keinen besonders glücklichen Eindruck, was allerdings in einer Stadt nicht viel bedeuten muß, wo gute Laune als Merkwürdigkeit gilt.

WIEN . Wir sind in Wien, und der Schauspieler Robert Hunger-Bühler macht keinen besonders glücklichen Eindruck, was allerdings in einer Stadt nicht viel bedeuten muß, wo gute Laune als Merkwürdigkeit gilt. Er spielt einen Filmregisseur in diesem neuen Stück von Peter Handke, eine wichtige Rolle, und mit dem, was auf der Bühne passiert, ist er schon einverstanden, das findet er gut. Aber Hunger-Bühler sagt, was Peter Handke in diesen Tagen und Wochen ansonsten angeht, diese glühende Parteinahme für Serbien und all sein politisches Gerede, da sei er schon sehr skeptisch, mehr als das. Warum der Dichter dies wohl alles tue? Der Schauspieler lächelt. "Ist ihm vielleicht fad?", fragt Hunger-Bühler. Er weiß also wohl, daß die Begründung, "dem war fad", übersetzt so etwas wie tiefste Depression heißen kann und in Wien im Zweifel für so ziemlich jedes Handeln herhält, notfalls sogar für irgendwelche Ferienmörder.

Alle sind sie nach Wien gekommen, Zeitungsleute von Helsinki bis New York. Im berühmten Café Landtmann gleich gegenüber, versammelte sich draußen auf der Terrasse, eine Stunde vor der Premiere, eine Menge Prominenz, zum Beispiel die Schriftstellerin Elfriede Jelinek oder der Verleger Siegfried Unseld, sowie beinahe vollständig die Gilde der sogenannten Großkritiker. Alle sind sie gekommen, um das neue Stück "Die Fahrt im Einbaum" von Peter Handke zu sehen. Es geht um den Krieg in Jugoslawien, zwar nicht um den aktuellen, denn Handke hat es vor einem Jahr geschrieben. Aber egal, es sind die Worte eines Mannes, der gerade in den letzten Wochen einen Amoklauf inszeniert hat: Er und die Serben gegen den Rest der Welt. Wird sein Rundumschlag auf der Bühne des Burgtheaters eine Fortsetzung finden? Und wie wird Claus Peymann das inszenieren, er, der nichts lieber im Leben hat als einen Skandal? Denn an diesem Abend kann sich Wien noch aus einem zweiten Grund zum Mittelpunkt der Theaterwelt erklären.

Der "Einbaum" ist nicht nur eine Uraufführung, sondern auch die letzte Premiere von Claus Peymann am Burgtheater, nach 13 Jahren als Intendant. Man kann nicht sagen, daß sich da einer leise verabschiedet. Seit Wochen macht er in durchaus marktschreierischer Pose erstens deutlich, daß er sich für den Größten hält und zweitens, daß er sich kaum vorstellen kann, wie Wien seinen Abgang jemals verschmerzen wird. Damit wenigstens irgendwas bleibt, hat Peymann eine meterdicke Dokumentation seiner 13 Wiener Jahre veröffentlicht, der Titel: "Weltkomödie Österreich."

Auch Peter Handke ist da. In der Vorstellung sitzt er in einer Loge, schmal wie immer, ein bißchen braungebrannt, vermutlich von seinen Reisen im Kriegsgebiet. Für den Beobachter wirkt er ruhig, im Gegensatz zu Claus Peymann, der einen Stock höher die Aufführung in der zweiten Reihe einer Loge verfolgt, mal steht er, dann wieder unruhig sitzend, mal gar nicht zu sehen. Als es vorbei ist klatscht Handke lange Beifall, den Schauspielern, der Aufführung, vielleicht auch sich selbst, wer weiß. Nach Wien gereist war Handke schon vor dem Premierentag, das wissen wir deshalb, weil wir am Dienstag zufällig Zeuge einer kleinen Szene wurden. Es war ziemlich genau 16 Uhr 20, als Peter Handke, schwarz gekleidet, mit wehendem, langen Haar und einem orangefarbenen Buch in der Hand das Burgtheater verließ. Regen hatte eingesetzt, auch ein starker Wind, als er den Platz überquerte. Auf der anderen Seite war eine Frau gerade damit beschäftigt, ihr Auto zu beladen. Neben ihr stand ein Kinderwagen. Ob ein Kind drin war oder nicht, ließ sich aus der Ferne nicht erkennen. Jedenfalls bemerkte die Frau nicht, daß der Wind den Kinderwagen in ihrem Rücken mitten auf die Straße wehte. Autos kamen heran - und wie verhält sich der Dichter? Handke holt den Kinderwagen, schiebt ihn freundlich der Frau zurück. Dies sei in erster Linie den Kritikern von Handke angezeigt: In dieser Situation jedenfalls hat er sich moralisch einwandfrei verhalten.

Wir sind in Wien, und da ist es eine Art Volkssport, daß man hinter die Fassaden der Menschen blickt. Was treibt einen an, was läßt jemandem zu dem werden, was er ist? Warum tut einer, was er tut? Wo sind die niederen Beweggründe? Wie gesagt, in Österreich blickt man gerne in die Seele, aber bevorzugt in die der anderen, den Zugang zur eigenen verschleiert man lieber. Peymann ist kein Österreicher, und er macht niemandem die Erkenntnis besonders schwer, was denn nun eine seiner stärksten Antriebsfedern ist. In einem Interview mit dem österreichischen Fernsehen, wenige Stunden vor der Premiere, wird er gefragt, ob dies nicht alles sehr belastend sei für seinen Abschied, der Krieg, der Rummel um Handke? Nein, sagt Peymann und strahlt, er finde es wunderbar, daß alles in dieser Aufregung, in diesem Wahnsinn ende, könne es denn etwas Schöneres geben?

Claus Peymann und Peter Handke - das ist auch die Begegnung zweier großer Selbstdarsteller, der eine spielt die Inszenierung offen, der andere bastelt eher im Stillen daran, vergißt aber nie Fotos von seinen Kriegsreisen mitzubringen, Fotos von sich selbst.

Leute, die Handke lange Jahre kennen, sind sich einig, daß es nur zwei Möglichkeiten gibt, mit ihm in Kontakt zu treten. Entweder man ist ein Fan, oder gibt sich als ein solcher zu verstehen, dann laufe alles bestens: man erlebe einen freundlichen, höchst intelligenten, eindrucksvollen Gesprächspartner. Nur wehe, man verändere die Perspektive, wage es etwa an der einen oder anderen Stelle Kritik zu üben.

Christoph Hirschmann, Kulturchef des Wiener Nachrichtenmagazins "Format", erinnert sich an einige Begegnungen, "wie er ausrastet, wenn ihm auch nur leicht widersprochen wird". Typisch sei vor etwa drei Jahren eine Veranstaltung im Akademietheater gewesen, Handke hatte aus seinen Reportagen vom Krieg gelesen. Im Anschluß fragte ein Journalist, was er zu den Hunderttausenden toten Bosniern sage, "und aus war es", erzählt Hirschmann. Handke tobte und sagte, "schieb dir deine Betroffenheit in den Arsch". Hirschmann sagt, es gebe auch keine Interviews mit kritischen Nachfragen, "weil dann das Interview sofort zu Ende ist". Marie Colbin, Handkes langjährige Lebensgefährtin, schrieb unlängst in einem zornigen Brief: "Irgendwie wirst Du diesem Krieg dankbar sein, denn er befriedigt auf perverse Weise Dein unstillbares Verlangen nach öffentlicher Anerkennung. Dein Ego bläht sich weit und breit, und es widert mich an."

Claus Peymann hat seine Intendantenzeit in Wien mit der Nähe zu einem bestimmten Dichter begonnen, zu Thomas Bernhard. Was heute nach einer eher selbstverständlichen Entscheidung klingt, war damals eine höchst mutige Angelegenheit, denn Bernhard war sozusagen der Staatsfeind Nummer Eins, und jetzt sollte er auch noch auf der Staatsbühne Nummer Eins aufgeführt werden. Man muß sich erinnern, was da 1988 los war, als das Bernhard-Stück "Heldenplatz" unter der Regie von Peymann Premiere hatte. Als folgende Bernhard-Sätze in die empfindlichen Zuschauerohren drangen: "Ich wache auf und habe es mit der Angst zu tun. Die Zustände sind ja wirklich heute, so wie sie achtundreißig gewesen sind. Es gibt jetzt mehr Nazis in Wien als achtunddreißig. (. . .) Jetzt kommen sie wieder aus allen Löchern heraus, die über 40 Jahre verstopft gewesen sind." Tumulte waren die Folge dieser Österreich-Beschimpfung, drinnen im Theater, draußen in der Stadt und bei den Politikern. Wochenlang wurden sehr ernst und laut die Absetzung des Stückes und die Abberufung Peymanns gefordert. Man muß sich daran erinnern, weil die Kraft Peymanns schon eindrucksvoll war, mit der er sich hundertprozentig loyal an die Seite des Freundes Thomas Bernhard stellte und alle Stürme abwehrte.

Bei allen schriftstellerischen Unterschieden gibt es Parallelen zwischen Thomas Bernhard und Peter Handke. Beides Einzelgänger, beides schwierige Charaktere, beide sehr zurückgezogen lebend. Bei Handke ist, bei Bernhard war die Vorliebe anzutreffen, in der Öffentlichkeit möglichst viele Ampullen Gift zu verspritzen. Könnte die Nähe Peymanns zu diesen beiden Autoren, neben deren unbestrittener Sprachkraft, vielleicht auch den Grund haben, daß sich der manchmal eher glatt wirkende Peymann von deren Radikalität angezogen fühlt? Oder einfacher: Spürt Peymann, daß die öffentliche Wahrnehmung dieser Personen dazu beiträgt, daß auch das Theater, selten genug in diesen Zeiten, in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion rückt?

Die letzten Tage vor der Premiere verliefen in Wien relativ ruhig. Nein, es war nicht die Ruhe vor dem Sturm, eher die Ruhe danach. In zu vielen Interviews hatte sich Peymann nochmal über Österreich erregt. Zu viel war über Handke diskutiert worden. Es wirkte fast so, als wäre die Stadt müde geworden. Bitte, keine Emotionen mehr! Nicht einmal die zuverlässigste Feinde meldeten sich, selbst Jörg Haider schwieg. Aber vielleicht lag die Stille auch auch an einem anderen Ereignis, das allen vorführte, wie grausam das Leben sein kann. Nicht der Krieg, ach was, nein, Österreichs Fußballer haben in der EM-Qualifikation 5:0 gegen den Fußballzwerg Israel verloren. Die Zeitung "Die Presse" schrieb: "0:9 gegen Spanien. 0:5 gegen Israel. Es geht aufwärts."

Nach 13 Jahren Kampf geht Claus Peymann nach Berlin. Wie es werden wird? Gut, mit Frank Castorf läßt sich gut streiten. Aber sonst? Diepgen, Momper, Künast, das sollen Feinde sein? Aber vielleicht kommt der Peter Handke mit. Und dann wird ihm eines Tages fad, und er schreibt wieder was.

STEPHAN LEBERT

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