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Kultur: Im Endeffekt

LESEZIMMER RainerMoritz über Adorno und Küblböck Noch kein Entkommen: Adornos 100. Geburtstag liegt zwar eine gute Woche hinter uns, doch wer gehofft hatte, dass es mit dem Erinnern nun vorbei sei, hat sich zu früh gefreut.

LESEZIMMER

RainerMoritz über

Adorno und Küblböck

Noch kein Entkommen: Adornos 100. Geburtstag liegt zwar eine gute Woche hinter uns, doch wer gehofft hatte, dass es mit dem Erinnern nun vorbei sei, hat sich zu früh gefreut. Denn endlich will ich mich zu Adorno äußern; mit Verspätung erregen meine Worte sicher größere Aufmerksamkeit, und dergleichen muss man heute als Kolumnist schamlos ausnutzen.

Wenn Sie mich fragen, war mir das mit Adorno irgendwann zu viel. Kein Feuilleton ließ es sich nehmen, seitenweise Adorneskes abzudrucken. Ganz tapferen Rezensenten wurde die Kärrnerarbeit zugemutet, die zahllosen neuen Biografien eingehend zu würdigen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Nichts gegen Adorno – doch ein wenig übertrieben kamen mir die AdornoArien schon vor. Endlich – so schien es – durften die alteingesessenen Jungs des Kulturteils sich ohne Schuldgefühle an einen ihrer alten Säulenheiligen erinnern und wehmütig an die aufmüpfige Zeit zurückdenken, als sie mit Horkheimer, Adorno, Bloch und Marcuse sozialisiert wurden und sich als hoffnungsvolles Mitglied der Suhrkamp-Kultur fühlten.

Manches in den Artikeln der klugen Leute erwies sich als lehrreich. Unbekannt war mir beispielsweise Adornos Eigenheit, seine Gemahlin auf öffentlichen Gehwegen zum Beiseitetreten aufzufordern, wenn ihr Körper den Blick auf junge Schönheiten zu versperren drohte, wie in dieser Zeitung zu lesen. Und auch unter den täglich abgedruckten Adorno-Stellen fanden sich manche, die einen staunen ließen – und die Frage aufwarfen, warum diese Sätze einst so faszinierten.

Meine Adorno-Lieblingspassage stammt aus dem Essay „Satzzeichen“, der diesen unscheinbaren Orientierungsbojen eines Textes die angemessene Beachtung schenkt. Über den Strichpunkt heißt es dort: „Das Semikolon erinnert optisch an einen herunterhängenden Schnauzbart; stärker noch empfinde ich seinen Wildgeschmack.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, und wir alle sind aufgerufen, die unterschätzten Satzzeichen, die nach der neuen Rechtschreibung ohnehin so wahllos verteilt werden dürfen wie Butterflocken auf dem Makkaroni-Auflauf, mit anderen Augen zu sehen.

Da das, was ich zu Adorno zu sagen habe, mit diesen Bemerkungen erschöpft ist, will ich versuchen, eine elegante Überleitung zu Daniel Küblböck zu finden. Wer das ist, wissen auch jene, die „Deutschland sucht den Superstar“ nie gesehen haben. Küblböck wäre, rein theoretisch, bisher ein Fall für das „Musikzimmer“ des Kollegen Diederichsen gewesen. Doch da er, Küblböck, uns ungeachtet seiner erst 18 Jahre eine Autobiografie zu Füßen legt („Ich lebe meine Töne“), erkläre ich mich für zuständig. Leider habe ich nicht vor, dieses Werk, bei dem die bemitleidenswerte Julia Boenisch dem Jungdichter die Hand führte, zu lesen. Die Honorierung dieser Zeilen reicht dafür als Schmerzensgeld nicht aus. Das stellt heute freilich kein Problem dar, und so begann ich hurtig, mir Sekundärwissen über Küblböcks Erinnerungsprosa anzueignen. Das geht am besten über das Fernsehen, mit Johannes B. Kerners Talkshow zum Beispiel, in der Herr Küblböck vor einigen Tagen mal wieder auftreten durfte. Er sprach das übliche wirre Zeug, erklärte, wie er seinen Ruhm verkraftet, was seine Mutter dazu sagt und so weiter.

Am beeindruckendsten in dieser Suada freilich war ein rhetorischer Rekord, den er an diesem Abend aufstellte. Jeder zweite Satz – ich übertreibe nicht! –, der aus ihm hervorquoll, enthielt die Wendung „im Endeffekt“. Jede noch so läppische Betrachtung wurde mit dieser Leerformel aufgefüllt – ganz so, als gälte es, seinen Sätzen wenigstens auf diese Weise den Verdacht eines Reflexionsprozesses einzuhauchen. „Ich liebe meine Mutter im Endeffekt dennoch“, das war mein Küblböck’scher Favorit, und allen Linguisten, die sich für die Irrungen und Wirrungen gesprochener Sprache interessieren, sei angeraten, sich beim ZDF ein Videoband dieser denkwürdigen Minuten zu besorgen.

Adorno hätte das alles stark missfallen, und es ist gut so, dass er Küblböck & Co. nicht mehr erleben musste. Streng wie Adorno die leichte Musik geißelte, hätte das künstlerische Schaffen Daniel Küblböcks bei ihm womöglich Schreibblockaden hervorgerufen. Zum Schaden der Nachwelt, im Endeffekt.

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