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Kultur: Im Geisterhaus

Steht die Suhrkamp-Kultur auf dem Spiel? Ulla Berkéwicz, die Witwe des Verlegers Siegfried Unseld, will den Verlagschef Günter Berg entmachten

Im wichtigsten deutschen Verlag, dem Suhrkamp Verlag, herrscht Krieg. Schon seit einiger Zeit herrscht dort Krieg, aber bislang war es ein kalter. Jetzt kommt er in die heiße Phase.

Der Auslöser der heißen Phase war die Gedenkveranstaltung für den vor knapp einem Jahr verstorbenen Verlagschef Siegfried Unseld in der Paulskirche zu Beginn der diesjährigen Frankfurter Buchmesse (siehe Tagesspiegel vom 10.10.). Mit ihrer düsteren, quasi-sakralen Dramaturgie musste die Veranstaltung die einigen hundert Gäste vor die Köpfe stoßen. Nicht nur deshalb, weil für die meisten, die Unseld persönlich begegnet waren, das schaurig-pathetische Hochamt mit den Erinnerungen an die lebensbejahende Vitalität Unselds unvereinbar schien. Das, was in der Paulskirche letzte Woche inszeniert wurde – so schrieben die Literaturredakteure aller großen Zeitungen – konnte und durfte nicht die rituelle Materialisierung von Unselds Geist gewesen sein, vom guten Gott der Bücher.

Nein, die schwarze Messe in der Paulskirche stieß die Besucher vor allem deshalb vor den Kopf, weil das symbolische Kalkül allzu offensichtlich war. Günter Berg, der noch von Unseld persönlich zum verlegerischen Geschäftsführer ernannt wurde, und der von den meisten Mitarbeitern und Autoren als ökonomisch kluger und weitsichtiger Verlagsleiter geschätzt wird, sprach bei der knapp dreistündigen Zeremonie kein Wort. Durfte er nicht oder wollte er nicht?

Unselds Witwe hingegen, die Schriftstellerin Ulla Berkéwicz, auf die nach dem Tod ihres Mannes 51 Prozent der Suhrkamp-Anteile übergegangen sind, verlas als dramaturgischen Höhepunkt zum Ende der Veranstaltung einen Text von dunklem Pathos. Man konnte die mystisch-gnostische Metaphorik des effektvoll deklamierten Langgedichts mit gutem Willen als Ausdruck liebender Trauer verstehen. Nüchterner betrachtet, war sie die kaum verhüllte Installation einer esoterischen Geisteshaltung, die von nun an die große literarische Tradition des Suhrkamp Verlags umprägen könnte – eine Tradition, die immer eine der Aufklärung und ihrer rationalen Dialektik war.

Nach einem komplizierten Stiftungsmodell, das Unseld erst auf dem Krankenbett unterzeichnete, hat Ulla Berkéwicz im Rahmen der „Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung“ praktisch die Alleinherrschaft über den Verlag. Dass Berkéwicz plane, nicht nur stille Mehrheitseignerin zu bleiben und in Ruhe ihre Bücher zu schreiben, sondern die aktive Geschäftsführung ausüben will – darüber wird seit Monaten spekuliert und geschrieben.

Seit letzter Woche haben die Spekulationen ein Ende. Heide Grasnick, die Pressechefin des Verlages und eine enge Vertraute von Ulla Berkéwicz, antwortete nach der Paulskirchenliturgie auf die Frage, warum denn Verlagsleiter Günter Berg nicht unter den Rednern gewesen sei: Dieser könne Siegfried Unseld nicht ersetzen, keiner könne das. Seine Mitarbeiter hätten festgestellt, dass er nicht über das Charisma von Unseld verfüge, das wäre ja auch zu viel verlangt. Wenn einer Charisma habe, dann Ulla Berkéwicz. Es sei für Günter Berg schon deshalb schwer, weil er, wie alle Mitarbeiter des Verlags, ein Angestellter sei. Die Hoffnung, dass das Patriarchat Siegfried Unselds zu ersetzen sei, ruhe auf seiner Erbin. Am Telefon bestätigte die Pressechefin an diesem Mittwoch das Gesagte. Nun gibt es einen Machtkampf zwischen den Anhängern von Günter Berg und denen von Ulla Berkéwicz, der sich durch alle Einrichtungen des Verlags zieht. Aber diesen Machtkampf würde Ulla Berkéwicz wohl nur um einen hohen Preis gewinnen. Deshalb fragt man sich, warum sie ihren Anspruch überhaupt offen hat kommunizieren lassen. Denn sollte es zum Showdown kommen, werden sich nach allen Informationen etliche der einflussreichsten Autoren zur ökonomischen Vernunft, zum literarischen Sachverstand und zur menschlichen Offenheit Günter Bergs, des „Angestellten“, bekennen. Und schwerlich zum Matriarchat der Mehrheitseignerin.

Ökonomische und verlegerische Rationalität tun gerade jetzt not. Auf der zweitägigen Gesellschafterversammlung, die am Mittwoch zu Ende ging, stellte Günter Berg ein Sanierungsmodell vor. Den Status Quo – Günter Berg als Exekutivchef und Ulla Berkéwicz als Bücher schreibende, stille Mehrheitseignerin –, soll letztere kategorisch abgelehnt haben. Dass die Schriftstellerin Ulla Berkéwicz in den Jahren an Siegfried Unselds Seite zur betriebswirtschaftlich versierten Verlegerin wurde, die die Zukunft des Verlages sichern könnte, ist nicht ausgeschlossen, jedoch unwahrscheinlich.

Aber womöglich können sich alle Besorgten demnächst entspannt zurücklehnen, alle, denen die in Jahrzehnten gewachsene Suhrkamp-Kultur etwas bedeutet. Für einen Blick in die Zukunft – ganz ohne die esoterischen Neigungen, denen Ulla Berkéwicz, wie in der Branche bekannt, gerne nachgibt –, dazu muss man sich nur die jüngste Verlagsgeschichte vergegenwärtigen.

Es gibt da nämlich noch den Sohn des verstorbenen Verlegers, Joachim Unseld, den der Vater lange Zeit gerne als seinen Nachfolger gesehen hätte, und der das Handwerk des Verlegers von der Pieke auf gelernt hat. Er wurde allmählich aus dem Verlag gedrängt, nachdem Ulla Berkéwicz in Unselds Leben getreten war. Seit knapp zehn Jahren betreibt er nun erfolgreich sein eigenes Unternehmen, die Frankfurter Verlagsanstalt, und wartet gelassen ab, bis die Zeiten sich ändern.

Wenn diesmal nun Günter Berg aus dem Verlag gedrängt würde – unter Mitnahme wichtiger Lektoren und Autoren –, dann wäre der Verlag schwer geschädigt. Wenn aber der verlegerische Verstand Bergs in einem Dauermachtkampf unterdrückt würde, wäre Suhrkamp in der Dauerkrise. Unter der Leitung von Ulla Berkéwicz und ihrem favorisierten Programmleiter Rainer Weiss – der ein hervorragender Lektor, eine kompetente Literaturspürnase ist, aber eben auch alles andere als ein ökonomisch versierter Verlagsleiter – drohen Einbrüche, qualitativ und ökonomisch.

Man könnte sich ausmalen, wie es weitergeht: Ulla Berkéwicz gehört der Suhrkamp Verlag nicht allein. Miteigentümer ist neben Joachim Unseld (mit 20 Prozent Stiftungsanteil) als stiller Teilhaber der Schweizer Rechtsanwalt Andreas Reinhart, der bislang über 29 Prozent der Anteile verfügt. Reinhart ist viel zu klug, um dem Machtkampf tatenlos zuzuschauen.

Denkbar wäre eine künftige Doppelspitze Joachim Unseld/Günter Berg, von der nicht nur der junge Unseld und Berg träumen, sondern auch viele Suhrkamp-Autoren. Ganz zu schweigen von den Buchhändlern, von denen viele noch Joachim Unseld als charismatischen Verkaufschef des Suhrkamp Verlags in Erinnerung haben, und deren Sprache auch Günter Berg überzeugend zu sprechen wusste.

Es herrscht Krieg im Suhrkamp Verlag, und zwar kein kalter mehr. Und es steht viel auf dem Spiel. Aber es ist ein Krieg – das sagen die Orakel klar und deutlich – der noch gut ausgehen kann. Siegfried Unseld selbst hat Günter Berg zum Verlagsleiter gemacht. Wenn dieser und Unselds Sohn zusammenarbeiten würden, und Ulla Berkéwicz wieder das macht, was sie am besten kann: Bücher schreiben – dann könnte auch der große Patriarch Siegfried Unseld in Frieden ruhen.

Marius Meller

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