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Kultur: Im Gestrüpp der Politik

Neue Forschungen zum 50. Geburtstag der legendären Ulmer Hochschule für Gestaltung

Der 50. Geburtstag der Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG) hat nicht nur eine Jubiläumsausstellung (Tagesspiegel vom 18. September), sondern auch erhebliche publizistische Aufmerksamkeit beschert. Neben dem Ausstellungskatalog, der eher ein Begleitbuch darstellt, sind dies vor allem rückblickende Darstellungen von Beteiligten.

Martin Krampen, mehrere Semester lang Gastdozent in Ulm, legt gemeinsam mit Günther Hörmann eine Gesamtdarstellung unter dem programmatischen Titel „Die Hochschule für Gestaltung Ulm – Anfänge eines Projektes der unnachgiebigen Moderne“ vor (Ernst & Sohn, Berlin 2003. 336 S. m. 132 Abb., geb. 69 €). Das Buch offeriert den Charme der frühen Ulmer Jahre: Es ist streng systematisch gegliedert in Vorgeschichte, Entstehung, Aufbau der Lehre, Ende und Nachwirkung, es verschwendet kein einziges überflüssiges Wort und entspricht in seiner ganzen Gestaltung den fünfziger Jahren. Am Schluss gibt es einen Farbteil über die Produkte und Entwürfe aus Ulm, zusammengestellt aus Fotografien von damals – und der Leser begreift schlagartig, warum die HfGler Schwarz-Weiß bevorzugten. Man ahnt, dass weniger die politischen Auseinandersetzungen von 1968 das Ende der HfG bewirkten als vielmehr der Siegeszug der farb- und formtrunkenen Pop-Kultur.

Einige wenige Zitate sind dem Leben auf dem Ulmer Kuhberg gewidmet; sie lassen die Probleme des Zusammenlebens in der dortigen Abgeschiedenheit nur zwischen den Zeilen hervorlugen. Mehr darüber und vor allem Bestürzendes erfährt man in der neuen Ausgabe von „form + zweck“, schlicht und in passender Kleinschrift getitelt „hfg ulm“ (form +zweck Verlag, Berlin 2003, 128 S. m. CD-ROM, geb. 34 €). Claudia von Alemann, die an der – allerdings erst 1962 eingerichteten – Filmabteilung bei Alexander Kluge studiert hat, sagt darin im Interview über das Leben im Wohnturm: „Und das war die Hölle. Wir waren eingesperrt. Und wir sollten schön puristisch und spartanisch bei eiskaltem Wasser in unseren winzigen, kärglich mit Bill-Hocker, Schreibtisch, Bett ausgestatteten Klausen leben.“ Und zur Studienpraxis: „Meine vier Mitbeginner waren entweder alle nach der ersten Prüfung rausgeworfen worden oder von selbst gegangen. Der einzige mit mir übrig gebliebene Filmstudent, mit dem ich sehr befreundet war, hatte sich umgebracht auf dem eisigen Feld in der Nähe der Hochschule.“

Das mag eine sehr subjektive Sicht sein; andere Zeitzeugen schwärmen eher von den Festen und Feiern, die den Punkt neun Uhr beginnenden Arbeitstag abschlossen. Aber sie fügt eine Facette hinzu, die nicht ins offiziell gepflegte Bild der Kreativ-Schmiede passen will. Und auch die anderen Interviews des anspruchsvoll gestalteten Bandes kratzen eher an diesem Bild, als es zu polieren.

Es fehlt an einer umfassenden Gesamtdarstellung der HfG. Die politische Geschichte der Designschule allerdings hat ihren Autor gefunden. Bereits im vergangenen Jahr legte René Spitz das Ergebnis seiner jahrelangen Studien in einem monumentalen Großformat vor (ebenfalls in typischer Kleinschreibung): „hfg ulm. der blick hinter den vordergrund. die politische geschichte der hochschule für gestaltung 1953-1968“ (Edition Axel Menges, Stuttgart 2002. 464 S. m. 450 Abb., geb. 78 €). Spitz betont, dass die HfG „eine bildungsinstitution außerhalb des bundesdeutschen bildungssystems“ war, nämlich ohne anerkannten Studienabschluss und ohne Rückhalt in der Bürokratie. Schon ihre Entstehung machte sie zum Außenseiter.

Spitz macht erstmals die kulturpolitische Strategie der US-Nachkriegspolitik deutlich, innerhalb derer die HfG überhaupt nur zum Empfänger einer bemerkenswerten Zuwendung aus einem – letztlich vom CIA gespeisten und kontrollierten – Fonds werden konnte. Im Weiteren zeichnet der Autor die Institutionsgeschichte der HfG nach, die Auseinandersetzungen um die Hierarchie, um Rektorat oder Kollegium. Und er bettet die Geschichte der HfG ein in die Designgeschichte der Bundesrepublik sowie in die Hochschulpolitik.

Dabei wird deutlich, dass die seit Mitte der sechziger Jahre betriebene Hochschulplanung keinen Platz für eine kleine, selbstverwaltete Schule ließ – sofern sie denn öffentliche Gelder beanspruchte –, andererseits die HfG derart an innerer Erosion litt, dass sie zu keiner von allen Beteiligten getragenen Kompromisslösung mehr fand. Protestplakate der Studenten kombinerten dann die Jahreszahlen 1943 – dem Jahr der Hinrichtung der beiden jüngeren Geschwister Scholl – und 1968 mit den Worten „Hinrichtung HfG“: „Von dieser obszönen provokation“, schreibt Spitz, „hat sich die veröffentlichte meinung über die hfg nicht mehr erholt.“ Tatsächlich betrieb die radikalisierte Studentenschaft längst die Trennung von der ihrer Meinung nach politisch willfährigen Trägerin der Schule, der Geschwister-Scholl-Stiftung. Das Ende der HfG war nicht allein folgerichtig, sondern von Innen heraus provoziert.

Das tut ja der bleibenden Wertschätzung ihrer Ideen und Produkte keinen Abbruch. Für die Verklärung der Ulmer Lehrstätte jedoch gibt es mit dem Buch von Spitz keine Rechtfertigung mehr – dafür eine umso tragfähigere Grundlage für eine von kritischer Sympathie getragene Würdigung.

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