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Kultur: Im Glashaus

Zum siebzigsten Geburtstag des Dichters Rolf Haufs / Von Richard Pietraß

Einmal Silvester, immer Silvester. Wenige Tage vor seinem auch in diesem Jahr wieder mit der öffentlichen Böller- und Völlerei zusammenfallenden Geburtstag bat ich den Vizedirektor der Literaturabteilung der Berliner Akademie, mich durch das neue Gewächshaus der Künste zu führen. Im Namen der Transparenz saugt es den, der in Schlundnähe seiner gläsernen Tentakeln kommt, geradezu ein. Erinnert die Eingangshalle an eine überdimensionierte, schiefebenige Bahnhofshalle mit Bücherboutique und Laufsteg, entführten mich der Dichterfreund und eine Mitarbeiterin des abgedankten Präsidenten zu den Glanzstellen des Hauses, dem Plenarsaal, der Bibliothek, der Aussichtsterrasse auf den Pariser Platz, dessen kulturelle Platzhalterin zwischen Botschaften und Banken die Akademie gemeinsam mit dem Liebermann-Haus ist. Haufs, gelernter Skeptiker mit drastischem Humor, misstraute den zunftauflösenden Strukturreform- und Zuwahlplänen seines eidgenössischen Präsidenten ( à la wir sind alle Künstler, also lasst uns alle alle wählen) und der schleichenden Öffnung gegenüber dem Einfluss von Politik und Großem Geld. Eine Akademie tauge nicht, verstehe ich den Medienscheuen, als Kirmesbühne und Ort gekaufter Weihe. Aber auch des Architekten Behnisch Lieblinge sind die Mitarbeiter mit ihren, bei aller klarsichtigen großartigkeit, eher bescheiden bemessenen Räumen, ihren gläsernen Fleißkäfigen, die sie zu Schalterbeamten schrumpfen, nicht. Dagegen wirkt der das Guckkasten-Büro ergänzende, sichtdichte Präsidenten-Ruheraum wie eine ruchlose Black Box.

Wer schreibt, sitzt im Glashaus. Dem seines Werks. In Erwartung des Bumerangs seiner Worte fürchtet er das Echo nicht weniger als sein Ausbleiben. Rolf Haufs, Rheinpappel und gelernter Exportkaufmann, kam jung nach Berlin, das den kleinbürgerlich geprägten Eleven davor bewahrte, ein Carossa zu werden und ihn rasch den allfälligen Exerzitien unterzog. Erste Lesung gleich 1960 im Waitzkeller in der Waitzstraße, zwei Jahre später schon Gruppe 47, der erste Band bei Luchterhand. Die langen Beine schienen in Siebenmeilenstiefeln zu stecken. Schon sah man sie in den Rundfunk ragen, in den er hineinwuchs: als freier Autor, als Einspringer, als deutscher Steno-Jugendmeister zeitweise gar die Diktatsekretärin ersetzend, 1972 als Nachfolger Walter Schürenbergs. Ein Vierteljahrhundert als Literaturredakteur im Glashaus des Funks: einer, der verteilen konnte und verweigern musste, sich Freunde (auch treulose) und Feinde (verlässliche) machte. Einer, der das lässlich ertrug, dem Freundschaften wichtiger als Seilschaften waren, die engsten die der ersten Jahre: mit Robert Wolfgang Schnell, Günter Bruno Fuchs, Johannes Bobrowski, mit denen er über die Eichstrich-Stränge schlug. Einer, der, weil er die andern überragte, sich gern ein wenig duckte, derweil er im Glashaus saß, lieber „wir“ als „ich“ sagte (das Pronomen als Schleier), dem Reim eher abhold war, der goldenen Leier. Einer, dessen Gedichtbände seine Kritiker zu Pirouetten nötigte, ihn auf den Punkt zu bringen: „Frei von der Ich-Pest“ (Jürgen P. Wallmann), „Im Zweifel beständig“ (Rudolf Hartung), „Der verborgene Zeuge der Zeit“ (Günter Kunert), „Ein Sturm aus dem nie besessenen Paradies der Kindheit“ (Gerd Ueding), „Scheiterhaufen, Eisschollen“ (Agnes Hüfner), „Die glühende Postkarte“ (Michael Braun). Ja, als schmerzglühende, scherzblühende Postkarten könnte man die Gedichte Rolf Haufs’ verstehen. In vierzig Jahren fünfzehn Bücher in renommierten Verlagen sind das gewichtige Lebenswerk eines skrupulösen Autors, der alles andere sein möchte als ein Vielschreiber, als ein Hahn, der auf jeder Geflügelschau kräht. Das ihn ins Glashaus zwingende Sendeamt, in dem schon Huchel frönte, befreite ihm vom häuslichen Schreibzwang, lieferte ihn aber auch ans Messer der Gewählten und Verschmähten.

Dass dieses Leben aus einem Guss voller Zäsuren und Brüche war, deutet sich schon darin an, dass die Zahl der Berliner Wohnungen der seiner Bücher entspricht. Wenn ein Umzug einer Hinrichtung gleichkommt, ist Rolf Haufs ein oftmals Auferstandener, ein Aufrappler, ein trotziger Bewohner seines brüchigen Elfenbeinturms. Da er weniger Visionär als überwacher Sammler von Erfahrungen ist, verdankt er seinen Abstiegen alles: die ihm zu Höhenflügen werden. In diesem Sinne ist er ein Antäus des bürgerlichen Lebens, dessen poetische Kraft der Hand- und Fußfühlung seiner Stadt- und Überlandtage bedarf. Auch einen wahl- berlinischen Odysseus könnte ich ihn nennen, mit dem ersten Ankerplatz in der exotischen Exklave Steinstücken, den Häfen Kreuzberg, Zehlendorf und Wilmersdorf. Seit unserer ersten Begegnung auf der Terrasse des rheinischen Künstlerbahnhofs Rolandseck sind fast zwanzig Jahre vergangen. Die Widmungen seiner Bände markieren die Begegnungen. Bei einem wie ihm sind sie klein geschrieben. Ohne Überschwang gelten sie lebenslang. Nicht nur „vor der Zeit sein, ist Los des heiligen Sängers“, sondern auch unterschätzt zu sein. Drum wiegen Preise doppelt. Über die Jahre gut verteilt, erhielt er den Leonce-undLena-Preis, den Bremer Literaturpreis, den Hölderlin-Preis, den Hans-ErichNossack-Preis und, stolzeste Zacke in der Krone: den Peter-Huchel-Preis 2003, mit dem er fünfzig hoffnungstolle Dichterprinzen dieses noch immer poesiegesegneten Landes auf den Thronfolgerplatz verwies. Der Schlohweiße erhielt ihn für ein schmales, blutrotes Bändchen eines winzigen Verlags, dessen letztes Gedicht seiner jungen Glaskugel-Gefährtin gewidmet ist: Selig // Gegen alles auf Erden / Den Schund das Geplapper / Stürzende Träume / Wir reden uns zu // Halt einmal nur fest / Das Hingesagte das / Nurjetztnoch was immer / Es sein mag // Liebliebste was für ein / Wort. Das Sterben hört auf / An kommenden Tagen / Fressen wir selig // Uns auf.

Rolf Haufs’ neuere Veröffentlichungen: Drei Leben und eine Sekunde (2004), Ebene der Fluß (2002). – Richard Pietraß, geboren 1946 in Lichtenstein/Sachsen, lebt und arbeitet in Berlin. Neuester Gedichtband: Vorhimmel (2002).

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