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Christo lässt grüßen: Martin Pfeifles "Haw Pavillon" im Garten des Zehlendorfer Ausstellungshauses.

© Villa Romana

Im Haus am Waldsee: Die Stipendiaten der Villa Romana

Schaumstoff, Papier und Videos: Das Haus am Waldsee präsentiert Stipendiaten der Villa Romana. Der Preis gilt als die älteste deutsche Auszeichnung für zeitgenössische Kunst.

Es ist eine Gemeinschaftsarbeit zwischen einer Künstlerin und dem italienischen Wetter. „UV und Regen auf farbigem Papier, Format windgerissen, 155 x 165 cm“ steht unter dem Werk von Kalin Lindena. So poetisch sind Angaben selten, vor allem nicht, wenn sie pragmatisch „Ohne Titel“ heißen. Im vergangenen Jahr war Kalin Lindena Stipendiatin der Villa Romana in Florenz.

Die Künstlerin, geboren 1977 in Hannover, war bei ihrer Ankunft überwältigt von dem Platz, der ihr im und um das Künstlerhaus zum Arbeiten angeboten wurde, der Garten ist über 15 000 Quadratmeter groß. Also legte sie die riesige Terrasse mit Papier aus – ein erstes Habhaftmachen des fremden Ortes, fernab der gewohnten Arbeitsbedingungen in Deutschland. Schon bald fuhr Wind hinein in die Papierfläche, zerriss sie und nahm Kalin Lindena das schöpferische Zepter aus der Hand. Zwei Monate ließ sie das Papier dort liegen, Sonne und Regen wechselten sich ab, bleichten das Material aus und hinterließen Spuren von Terrassenstühlen und einem Gartentisch. Wie archäologische Fundstücke hängen die Fetzen nun an der Wand im Haus am Waldsee.

Dort werden zurzeit die acht Stipendiaten der Villa Romana des vergangenen und des aktuellen Jahrgangs präsentiert, neben Kalin Lindena sind darunter reizvolle spielerisch-sinnliche Arbeiten von Sebastian Dacey, Olivier Foulon, Anna Heidenhain, Anna Möller, Martin Pfeifle, Eske Schlüters und Benjamin Yavuzsoy zu sehen.

Im Jahr 1905 hatte Max Klinger das Anwesen an der Via Senese erworben, seitdem gibt es auch den Villa-Romana-Preis, er gilt als die älteste deutsche Auszeichnung für zeitgenössische Kunst, die Preisträger erhalten ein Stipendium und dürfen zehn Monate in der Villa leben und arbeiten. Die Jury wechselt in jedem Jahr, dieses Mal wählten Susanne Gaensheimer, Direktorin am Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, und die Bildhauerin Rita McBride, Professorin in Düsseldorf, aus. Meistens werden junge Künstler am Anfang ihrer Karriere gefördert. Träger ist ein gemeinnütziger Verein, Hauptförderer ist neben der Deutsche-Bank-Stiftung der Bundesbeauftragte für Kultur.

Einst entstand das Künstlerhaus und sein Preis aus einer Italiensehnsucht heraus – und noch immer saugen die Stipendiaten alle überbordende Fülle an Kunstschätzen auf, die sie dort in den Museen vorfinden. Gleichwohl geht es inzwischen nicht mehr nur um den Blick der Deutschen auf Italien. Der Preis ist internationaler geworden, unter anderem dürfen die Künstler aus verschiedenen Teilen der Welt kommen, sie müssen nur in Deutschland leben und arbeiten.

Neben Kalin Lindenas Terrazza-Bleichungen bezieht sich auch ein Video von Benjamin Yavuzsoy auf das florentinische Idyll. Ein Gartenhaus auf dem Gelände der Villa Romana ist das Setting. Ein junger Mann, der Künstler selbst, befüllt einen Kühlschrank. Auf einem zweiten Bildschirm sieht man, wie es um ihn herum aussieht: Offensichtlich wird dieses Häuschen als Lager benutzt. Yavuzsoy greift mit dieser Arbeit eine lange währende Diskussion um die Nutzung des Gebäudes auf, in dem er es mit einer ganz alltäglichen Geste wiederbelebt.

Andere haben sich für die Schau „Alloro“ extra mit dem Haus am Waldsee auseinandergesetzt. Anna Möller und Eske Schlüters hatten die schöne Idee, ihre Arbeiten mit einer gemeinsam konzipierten Rauminstallation zu umklammern. Sie manipulieren Licht, Akustik und das Blickfeld: Auf den Fenstern kleben Folien, die die Sonnenstrahlen diffus streuen, von Schienen hängen weiße Schaumstoffplatten, die Ecken verdecken und Geräusche dämpfen. Mit derart fokussierten Sinnen begegnet man den auf dem Boden verteilten schwarz-weißen Papierarbeiten von Anna Möller. Sie faltet Collagen von Motiven aus ihrem Bilderarchiv zu flachen oder dreidimensionalen Gebilden. Durch das Umknicken entstehen Verkürzungen und grafische Muster. Manches wird unkenntlich, anderes potenziert sich. Ähnlich arbeitet Eske Schlüters in ihrem Video, assoziative Übereinanderschichtungen von gefundenem Bildmaterial zum Thema Kopie und Doppelgänger.

„Who needs it“ ist der Titel einer Plastik, die fast ein ganzes Zimmer im Erdgeschoss ausfüllt. Anna Heidenhain hat hier ein echtes Ding geschaffen – etwas, dass keinen Nutzen hat und in seiner dreidimensionalen, vieleckigen Form und der Bespannung aus rotbrauner Rohseide dennoch an ein Möbelstück erinnert. Sie scheint zu fragen: Woran erkennt man Design? Wo fängt Kunst an?

Wo fängt Blau an, wo hört Pink auf? Im Garten, direkt am See, hat Martin Pfeifle eine Art Pavillon gebaut. Die Grundstruktur besteht aus drei verschiedenfarbigen Räumen. Die Wände sind Plastikstreifen-Vorhänge, im Inneren sind sie blau, pink und gelb, außen hat Pfeifle eine dicht aneinandergereihte Schicht weißer Streifen getackert. Das ist Farbfeld-Architektur, die umso schöner wird, wenn ein Lüftchen weht. Dann blitzen für außenstehende Betrachter die bunten Farbstreifen durch die weißen hindurch – und für alle, die sich gerade in der begehbaren Arbeit befinden, lösen sich die Räume auf. Auch Pfeifle könnte den Wind in seiner Werkbeschreibung aufnehmen.

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 15. August, Di u. Do-So 11-18 Uhr, Mi 11-20 Uhr

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