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Kultur: Im Hochsicherheitstrakt

„Territorien“: Eine Ausstellung in den Berliner Kunst-Werken untersucht die Gebietspolitik im Nahen Osten

Nicht erst die desert storms vergangener Kriege haben demonstriert, dass ein Gebiet keineswegs einfach nur eine naturgegebene Angelegenheit ist. Gegenwärtig versuchen Architekten und Urbanisten, Künstler und Kulturwissenschaftler zu zeigen, dass Territorien technische und mediale, soziale und nicht zuletzt auch ästhetische Konstruktionen sind. Diese Konstrukte hinterlassen Spuren nicht nur im Erdboden. Nicht ohne Grund wurde Giorgio Agambens „Homo Sacer“ vor einigen Jahren zum Theorie-Schlager: Agamben machte darin deutlich, dass Gewalt auch etwas mit den Gebieten zu tun hat, in denen sie stattfindet.

Laboratorium der Welt

Dieser Gedanke ist Ausgangspunkt eines internationalen Ausstellungsprojektes, das in den Berliner Kunst-Werken, der benachbarten Johannis-Evangelist-Kirche sowie diversen Außenposten inklusive Radioprogrammen stattfindet. Im Jahr 2000 hatte Catherine David mit der Ausstellung „Der Stand der Dinge“ den Stein ins Rollen gebracht, die sich ebenfalls auf die Verschränkung von politischen und territorialen Aspekten konzentriert hatte. Und ebenso wie David untersuchen die von Anselm Franke, Eyal Weizman, Rafi Segal und Stefano Boeri kuratierten „Territorien“ die Gebietstechniken in eben der Weltregion, wo sie derzeit am brisantesten spürbar sind: im Nahen Osten.

„Die Territorien Israels und Palästinas sind heute ein Laboratorium in der Welt“, meint die italienische Künstlergruppe Multiplicity, die mit ihren umfangreichen Recherchen bereits auf der Documenta 11 Aufsehen erregt hat. Anders als die Medien referiert die Gruppe nicht einfach die politischen Ereignisse in diesen Ländern; sie untersucht vielmehr die raumtechnischen Bedingungen, die sie ermöglichen. Für „Territorien“ steuerte die Gruppe Videos bei, in denen die Kamera in Echtzeit die nervtötende Reise quer durch die israelisch besetzten Gebiete in Palästina unternimmt. Kein Heiliges Land in Sicht vor lauter Grenzen.

Weniger den Ereignissen als vielmehr den räumlichen Einschreibungen ins „holy land“ gehen auch die zentralen Beiträge im Erdgeschoss nach. Dort geht es um die Tatsache, dass Territorien nicht nur horizontale Räume sind, sondern sich auch in die Vertikale ausdehnen. Das Kartografieren von Räumen, die planerische Arbeit der Architekten, aber vor allem die Verbindung mit Gesetzen machen aus Gebieten machttechnische Anlagen, die so schwer zu durchschauen sind wie Computer-Schaltpläne. Jede Karte beinhaltet eine Machtkonstellation, jeder Plan einen Vollzug von Machtverhältnissen – und jedes Bild ist eine Überwachung, könnte man mit Weizman und Segal hinzufügen. In den großen Saal des Hauses beamen die beiden Architekten drei Panorama-Aufnahmen von israelisch besiedelten Gebieten in Palästina. Was auf den ersten Blick wie Fotografien in der Tradition der Landschaftsmalerei aussieht, entpuppt sich bei einem Blick auf die Legende als geopolitisches Wirrwarr aus Geschichte, Recht und Menschenleben.

Guantanamo en miniature

Der Blick, den Weizman und Segal auf die Siedlungsgebiete werfen, ist durchaus nicht ausgewogen. Die israelische Siedlungspolitik erscheint aus der panoptischen Perspektive der Ausstellung als kaltblütige territoriale Strategie, der die Siedler als Spielfiguren dienen – eine extreme Position der israelischen Debatte um das Bauen in den besetzten Gebieten. Zum Glück sind Eran Schaerf und Eva Meyer ein paar Jahre vorher in die besetzten Gebiete gefahren, um mit der Videokamera einen ungleich nüchterneren Blick in die Flüchtlingslager zu werfen.

Eine Mischung aus Sachlichkeit und Verschwörungstheorie dominiert auch die übrigen Teile der Ausstellung. Sie werfen den Blick von Palästina zurück auf andere Beispiele der Raumpolitik – einen Blick, der magisch angezogen wird von verbotenen Zonen und rechtsfreien Räumen. Sean Snyder untersuchte amerikanische Militärbasen trotz aller Top-Secret-Vorkehrungen, das Londoner „Bureau of Inverse Technology“ schickte ein Experimentalflugzeug mit Videokamera über Zonen mit Überflugverbot, und die Berliner Gruppe An-Architektur steuerte Miniaturmodelle von rechtsfreien Räumen wie Guantanamo Bay bei; Asley Hunt wiederum dokumentiert Privatgefängnisse in den USA.

Es ist das Geheimnis der Ausstellung, wie es den grellen Blicken bei aller informativen Überfrachtung gelingt, ein eigenes Gesicht zu wahren – ein Gesicht, das die urbanistischen Diskussionen der letzten Jahre entschieden politisiert. Als Geheimagenten im Hochsicherheitstrakt fördern die Künstler Dinge in Nahaufnahme und Zeitlupe an die Oberfläche, bei denen sich dem demokratischen Bewusstsein die Nackenhaare kräuseln. Am Ende wünscht man sich nur, dass dieser entwaffnende Blick nicht nur in die Ferne schweift, sondern in der Nähe ansetzt – wie es mit dem erstmals geöffneten Aussichtspunkt auf dem Dach der Kunst-Werke zumindest angedeutet ist.

Kunst-Werke, Auguststr. 69, und Johannis-Evangelist-Kirche, Auguststr. 90, Di–So 12–18 Uhr, Do 12–20 Uhr; bis 24.8. Katalog: 300 Seiten, 30 Euro. – Die Diskussionsreihe „Kiosk“ findet täglich um 21 Uhr in der Villa Elisabeth, Invalidenstraße 4, statt. Heute diskutieren der Geograf Meron Benvenisti und der Architekt und Urbanist Milan Prodanovic über Städte nach dem Krieg. Morgen spricht der Jurist Alexandre Kedar mit Eyal Weizman über juristische Hintergründe eines territorialen Konfliktes .

Knut Ebeling

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