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Kultur: Im Höllenkreisel

Dimiter Gotscheff entkernt Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ am Deutschen Theater Berlin

Still sitzt die Frau dort auf der leeren Bühne, den Kopf in den Armen vergraben, und um sie herum tobt und tost und taumelt das Leben. Immer im Kreis, ein entfesselter Reigen, ein wilder Walzer, die Schatten tanzen an der Wand. Es ist eine Hommage an Max Reinhardts legendäre Drehbühne, die Dimiter Gotscheff im Max-Reinhardt-Jahr am Deutschen Theater inszeniert hat. 1905 übernahm der 31-jährige Reinhardt als Intendant die große Bühne. 1931 wurde hier Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ uraufgeführt, in Starbesetzung: Carola Neher, Lucie Höflich, Hans Moser, Paul Hörbiger und, in einer seiner ersten großen Rollen, Peter Lorre als Alfred.

Starbesetzung gibt’s auch diesmal wieder. Viel „altes“ Deutsches Theater mit Christian Grashof, Margit Bendokat, Gabriele Heinz und Horst Lebinsky. Doch zunächst scheint es, als drehe sich alles nur um sie: Fritzi Haberlandt ist zum ersten Mal am Deutschen Theater zu Gast. Und macht sich das Stück sofort zu Eigen. Lulu, Julie, Marianne: Wieder ist sie so eine Kindfrau mit dürren, staksigen Beinen, im Blümchenrock, mit Zopf und Strickjacke. Wie eine Puppe läuft sie über die Bühne, aufgezogen, mechanisch, tot. Knickst und dankt, dem Vater, dem Freund, das süße, weiße Porzellangesicht ganz starr, und nur manchmal zuckt sie zusammen, krümmt sich in jähem Schmerz oder zappelt verzweifelt und hilflos in Oskars festem Griff. Da sind dann plötzlich eine wilde Auflehnung, eine kindliche Aufsässigkeit und am Schluss ein verlorenes, irres Lied – und ein rotziges „Mir ist doch alles egal“. In den Momenten, in denen die offenbar unvermeidlichen Mikroports mit ihrer metallischen Kälte einmal ausfallen, hört man deutlich: Hier spricht ein Mensch. Das schneidet ins Herz.

Es mag am gerade zurückliegenden Berliner Theatertreffen liegen, dass einem sofort Michael Thalheimers Hamburger „Lulu“-Inszenierung in den Sinn kommt. Mit der kindlich-einsamen Fritzi Haberlandt im Zentrum, den austauschbaren Figuren um sie herum und der starken, bösen These, durch die alles so schnell und enervierend leerläuft. Auch bei Gotscheff ist die These schnell klar, in einer starken, hässlichen Szene: Oskar soll an Marianne einige Jiu-Jitsu-Griffe demonstrieren und zieht ihr unversehens Rock und Strumpfhose über den Kopf. Gefesselt, entblößt, gedemütigt steht sie da, kann sich nicht rühren, wird weggetragen. Sprachlosigkeit, Lieblosigkeit, Gewalttätigkeit.

Eine „Liliom“-Figur, dieser Fleischermeister Oskar. Und etwas von Peter Kurths grobschlächtiger, brütender Tragik aus Michael Thalheimers erster, immer noch bester Thalia-Inszenierung mit Fritzi Haberlandt von 2000 hätte man auch Sebastian Blomberg gewünscht, der sich mit weicher Stimme durch den Abend lispelt. Erst am Schluss wird er bedrohlich. „Hadere nie mit Gott. Gott weiß, was er tut. Gott gibt und Gott nimmt.“ Das kommt auch heute noch so ehern fundamentalistisch daher, dass man versteht, warum das Stück 1931 zum Skandal wurde, und 1948 nochmals in Wien.

Die Sprache: das Problem. Und Horváths großes Thema. Das weiche, melodische Wienerisch ist alles, was übrig ist vom nostalgischen Tingeltangel im Wiener Wald. Der Wiener Schmäh, begleitet von gefrorenem Lächeln, das man allen Beteiligten am liebsten vom Gesicht wischen wollte, dieser klebrige, zähe, gehässige Grundton. Nicht anbiedernd kommt das daher, sondern nur noch böse. Die Komödie, in der jeder über jeden lacht, hat ihren schwarzen, bitteren Unterton. Und die Vehemenz, mit der Horváth sprachliche Ungenauigkeit, hochtrabende Floskeln, schiefe Bilder aufspießt, verstärkt den komödiantischen Aspekt: Da trompetet Fritzi Haberlandt heraus, „Jetzt bricht der Sklave seine Fesseln“, Oskar philosophiert lispelnd über die „Frau als Sphinx“ und der Zauberkönig Christian Grashof, alt und erschreckend blass geworden, holt sich seine Weisheit aus der Bibel.

Was aber, wenn sich Gotscheffs so bestechend klare Inszenierung in solchen Sprachspielen erschöpft? Radikal entkernt hat er Horváths Volksstück, die Bühne weit und leer. Wie schon bei Tschechows „Iwanow“ vor einigen Monaten an der Berliner Volksbühne füllt Fantasie ganz mühelos, was das Bühnenbild so oft nicht leistet. Da reicht schon ein Küchenstuhl, um einen Kinderwagen zu simulieren. Und immer wieder dreht man sich im Kreis, ein cooles, fetziges Quartett aus Hackbrett, Violine, Schlagzeug und Tuba (Musik: Bert Wrede) hängt im Bühnenhimmel und gibt den Takt an, manchmal ein leiser Walzerklang, oft auch nur tosend wilde Rhythmen. Tempo, das hat der Abend, und eine formale Strenge dazu.

Doch beim Entkernen hat Gotscheff leider auch den Menschen das Fleisch weggeschnitten, hat sie reduziert zu Sprechmaschinen. Kein Leben hier, keine Liebe, kein Glück. Wie Spieluhrfiguren drehen sie sich im Kreis, jeder hat schnell und kurz den großen Auftritt und muss sich geschwind von null auf hundert spulen. Der fiese Ferdinand mit cooler Sonnenbrille (Martin Brauer), der hölzerne Rittmeister (Horst Lebinsky), Student Erich (Stefan Kaminski) in kurzen Hosen, der Körper zum Hakenkreuz verzerrt, Peter Jordan als Ekel Alfred und Margit Bendokat, die als Großmutter ihr ganzes großes komödiantisches Talent ausspielt und dem Affen richtig Zucker gibt, die ganze wilde Truppe in rasendem Stillstand. Denn ihr mögt noch so sehr zappeln und rennen, am Ende bleibt doch alles gleich, sagt das Stück, und Dimiter Gotscheff verstärkt das noch, indem er in jedem Akt ein Schlusstableau arrangiert, einen Schlusschor besonderer Art.

Nur eine ist die Siegerin, und das ist nicht Fritzi Haberlandt. Im zweiten Teil, leicht eingekürzt und um die Heurigen-Szene erleichtert, sitzt eine andere Frau im Zentrum der Reigens. Almut Zilcher macht Valerie zur heimlichen Hauptfigur des Stücks. Die hampelnden, zappelnden Männer um sie herum, die schrecken sie nicht, sie lässt sie kommen und nimmt sie sich und schickt sie gleich wieder weg mit einem weichen Abschiedsgruß. Und wenn sie sich verbünden, wenn eine Männerrevolte ausbricht, sie sich aufstacheln gegenseitig in ihrem Wienerisch gegen das Böse, die Frau, dann holt sie sie wieder zum Boden zurück und spricht von Frauensolidarität und hat ein Herz und lässt sie kriechen, die Kerle aus dem Wiener Wald. Und sie tun’s.

Wieder am 21., 23., 24. Juni, 19.30 Uhr

Christina Tilmann

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