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Kultur: Im Irrgarten

Die Galerie Barbara Thumm zeigt das Frühwerk von Anna Oppermann.

Am Anfang steht das Chaos. Zettel, Fotografien, Briefe, Zeichnungen: Ein wüstes Sammelsurium aus Text- und Bildschnipseln liegt in einer Ecke der Berliner Galerie Barbara Thumm. Das Auge tastet sich durch das collageartig arrangierte Papierstillleben, liest Textfetzen, ist kurz verwirrt. Ist das eine frühe Arbeit von Jonathan Meese? Wird das noch weggeräumt? Der Galeriemitarbeiter amüsiert sich über das ratlose Gesicht seiner Besucher: „Das müssen Sie sich einfach wegdenken! Das steht hier nur probeweise.“

Die Zettelecke, das sogenannte Ensemble, ist eine Arbeit der Künstlerin Anna Oppermann, deren Frühwerk in der Galerie zu sehen ist. Barbara Thumm will das Ensemble MKÜVO („Mache kleine überschaubare, verkäufliche Objekte!“) im Oktober auf der Frieze in London zeigen, für das Messepublikum wird es vielleicht eine Entdeckung werden. Denn auch wenn Museen das Werk der Hamburgerin wieder vermehrt ausstellen, ist sie ein wenig in Vergessenheit geraten.

Das war nicht immer so, zu Lebzeiten galt Oppermann als eine der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen ihrer Generation. Sie war zweimal auf der Documenta vertreten, stellte auf der Biennale in Venedig aus und war im musealen Raum grundsätzlich präsent. Als sie 1993 mit nur 53 Jahren an Krebs starb, wurde es still um ihre Kunst. Zu den Gründen zählt sicher, dass mit dem Tod der Künstlerin auch das unbändige Wuchern ihrer Ensembles endete. Bis dahin war Oppermanns Schaffen eine subtile, aber nicht minder entschiedene Absage an Ideen von Einheit und Abgeschlossenheit (die Ensembles waren offen datiert, etwa „ab 1977“). Hatte sie eine willkürlich zusammengewürfelte Ecke gebaut, duplizierte sie diese, malte das Spiegelbild minuziös nach und setzte das Abbild des Ensembles in das Ensemble ein. Dann malte sie dieses neue Bild noch einmal, setzte es wieder ein und malte es erneut. Über die Jahre hinweg wucherten so kaleidoskopische Arrangements aus teilweise über tausend Elementen in den Ecken von Museen und Galerien. Komplexe Gebilde, die den Besucher zwangen, in die Windungen und Wendungen der oppermannschen Gedankenlandschaft einzutauchen.

In der aktuellen Ausstellung „Anna Oppermann. Frühe Werke“ muss man das auch. Erstmals seit 1970 holt die Galerie frühe Arbeiten der Künstlerin aus den Schubladen: Werke, die in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren entstanden sind (Preise: 2150 – 42 000 Euro). Neben dem probeweise ausgebreiteten Zettelberg in Schwarz-Weiß-Grau wirken die Buntstiftmalereien und Kollagen wie verrückte Traumwelten – naiv und komplex zugleich. Da sitzt ein Mädchen im violetten Kleidchen mitten im Bild und blickt grantig aus dem Fenster auf ein Meer von Häuserdächern. Eine kleine Notiz neben seinem Kopf sagt „Wichtig!! Mal wieder doof aus dem Fenster kuggen“. Andere Zettel rechnen wie in einem inneren Monolog mit den Erwartungen an Frauen ab: Sie sollen hübsch, doof, nachdenklich, Schutz suchend und – wenn es sein muss, dann eben – auch ein bisschen erfolgreich sein.

Ihre Bilder haben Humor, man muss wirklich schmunzeln, und doch sind sie nie leicht. Im Gegenteil rutschten manche ins Unheimliche, fast Bedrückende ab. Anna Oppermann kreist immer wieder um sich selbst, schaut an sich herunter und malt, was sie sieht: die Oberschenkel, die Knie, den Tisch, die aufgeschnittene Tomate. Dann dreht sich ihr Blick, sie zeigt einen schweren Körper von hinten, eine Hausfrau, die ermattet am Küchentisch sitzt und Einkaufslisten schreibt. Dröge Alltagsszenerien, mag man meinen, wo bleibt die Kraft ihrer Ensembles? Wo ist der manische Impuls, jedes Bild in kleinste Teile aufzubröckeln und wild durcheinanderzuwirbeln? Wo bleibt die Magie?

Es ist alles schon da, nur noch viel leiser. Mitten in den Bildern öffnen sich Abgründe, die sich ausweiten und wie ein Tor in eine andere, surreale Welt überleiten. Wer sich traut, tritt ein. Anna Oppermann löst das Bild von der Mitte aus auf, als würde sie sehen wollen, was sich hinter der ersten Farbschicht versteckt, als würde sie die Gedanken- und Gehirnlappen nach etwas Unbekanntem durchforsten. Ganz egal, ob auf der Leinwand oder in einer Ecke, Oppermanns wildes, verzetteltes, aber eben auch recht klares Denken schafft Räume in die man sich gerne immer tiefer bohrt. Sie wiederzuentdecken, ist gut fürs Gehirn.

Galerie Barbara Thumm, Markgrafenstr. 68; bis 7. 9., Di–Sa 11–18 Uhr

Annabelle Hirsch

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