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Kultur: Im Jetlag der Seele

Sofia Coppolas grandioser Film „Lost in Translation“ erzählt von einer Liebe, die sich nicht erklärt

Wer im Jetlag ist, lebt doppelt neben der Zeit. Man hat den täglichen Gleichklang zu denen verloren, mit denen man sonst Helligkeit und Dunkelheit teilt. Und man schleift somnambul oder überwach neben denen her, die einen am neuen Ort anlauflos in ihren eigenen Lichtrhythmus ziehen. Man wechselt den Kontinent, und man ist allein. Lost in translation: Verloren ist man in diesem Übergesetztsein von einer Welt in die andere, nur selber hat man sich dabei seltsam gewonnen.

Bob, der Held aus Sofia Coppolas romantischer Komödie „Lost in Translation“, die das Filmjahr ebenso leise wie grandios eröffnet, kommt im Dunkeln an in Tokio, und er wird tagelang, nächtelang in diesem sonderbar qual- und lustvollen Zustand des Jetlag bleiben. Der sachte alternde Schauspieler dreht hier einen Werbespot für japanischen Santori-Whiskey, nichts Rühmliches für die Restkarriere, aber zumindest einträglich. Seine Frau und die noch kleinen Kinder hat er in Amerika zurückgelassen, das sein so genanntes Zuhause ist. Dieses Zuhause meldet sich per Fax in der Nacht oder per Fedex-Paket, es fordert Entscheidungshilfen etwa beim Erwerb eines neuen Teppichbodens. Ein paarmal auch wird Bob in diesen Tagen mit seiner Frau telefonieren – und die ferne Alltäglichkeit, die da an sein Ohr dringt, wird ihm erscheinen, als hätte er nicht den Kontinent gewechselt, sondern den Stern.

Ein paar Hotelzimmer und Etagen weiter findet Charlotte keinen Schlaf in dieser seltsamen Fremde. Die sehr junge Frau begleitet ihren sehr jungen Mann namens John, einen Fotografen sehr en vogue, auf eine Jobreise nach Tokio, und anders als sie stürzt er sich heftig in die fremde Welt. Gleich wird er ihr für einen tollen Auftrag ein paar Tage abhanden kommen – Küsschen, ichliebdich, und tschüss. Also besucht Charlotte tagsüber zum Beispiel die buddhistischen Tempel und bricht in Tränen aus, als sie einer Freundin am Telefon im fernen Amerika nicht begreiflich machen kann, wie angerührt sie ist von der stillen Zeremonie. Und nachts, wenn sie wieder einmal keinen Schlaf findet, geht sie wieder einmal in die Hotelbar. Da ist Bob, und nach ein paar Blickwechseln werden sie zu reden beginnen.

Wie soll man diese Beziehung nennen, die sich mehr in Nächten als in Tagen entspinnt bis zu Bobs Abreise und Johns Wiederkehr? Eine Freundschaft, eine Kameradschaft gar, sagen manche, ein Flirt vielleicht, aber ganz gewiss keine Affäre zwischen zweien, die – er 25 Jahre, sie zwei – verheiratet sind und ein bisschen Ablenkung von sich selber und ihren Partnern suchen. Ein unschuldige, wunderschöne und wunderschön gefilmte Romanze also, darauf werden viele sich einigen. Man könnte allerdings auch, verführt durch den Seelen-Jetlag, den die Besichtigung dieses unendlich sanften Films bedeutet, eine große Liebe ins Spiel bringen. Eine große, translatorische Liebe.

Schon die traumwandlerische Art, wie diese beiden zueinander übersetzen auf der Reise vom Ich zum Ich, ist genial erdacht. Von Anfang an gehen Bob und Charlotte wie in einem Urvertrauen miteinander um, und als dann doch eine stumme, geschmeidige Anziehung wächst, lassen sie die erotische Klimax einfach aus. Sie überspringen das trügerische sexuelle Feuer und sind doch fortan wie in seiner trostreichen Wärme. Sie ziehen sich nicht aus und sind doch, in ihren Gefühlen, nackt voreinander – die junge, vor ihrer endlos erscheinenden Zukunft ratlose Frau und der lebenserfahrene, lebensermüdete Mann, der keinerlei Ratschläge auf Lager hat. Kein Sex, aber das sanfte Reden danach: Geht das? Hier geht es. Nichts passiert und doch alles: Auch das geht. There is nothing more than this – einmal in einer späten Nacht wird Bob, sehr sanft, sehr rauh, diese Zeile von Roxy Music singen, in einer Karaoke-Bar für ein paar Zufallsfreunde und natürlich für Charlotte. So träumt „Lost in Translation“ den metasexuellen Traum vom endlichen Frieden, wie er zwischen Mann und Frau sein könnte.

Diese fast zeichenlose Liebe, vor der das Kino sich sonst meist scheut und das Leben erst recht: Bill Murray, stattliche 53 Jahre alt, und Scarlett Johansson, gerade 19 geworden, kriegen sie wunderbar hin. Der große Komiker hat zwar, vor allem beim wiederholten Whiskeyspot-Dreh, ein paar wunderhübsch unterspielte Slapstickszenen – aber sie und andere, in denen er zahlreiche japanische Absonderlichkeiten souverän erduldet, funktionieren allein als Folie: Widerschein der Fremdheit, der die schwerelose Intimität mit Charlotte erst konturiert. So führen auch die Presse-Hinweise auf die „brüllende Komik“, mit denen der Film nun massiv beworben wird, eher in die Irre. Denn das grobe Lachen des Anfangs reißt den Zuschauer nur in jene Fremdheit, die Bob in Tokio erlebt. Es macht ihn selber reif für den Jetlag, jenen Ausnahmezustand, in dem der Mensch allein vor sich selbst steht. Alles andere ist Heiterkeit, die den Boden bereitet für eine Zärtlichkeit nur aus Blicken und Wörtern. Und, sehr bald, für Melancholie.

Was wäre sonst zu sagen über diesen zweiten Film von Sofia Coppola (nach ihrem nervösen, beunruhigenden Erstling „The Virgin Suicides“), der sich selber und seine scheinbar kleine Geschichte so wenig erklären muss? Der seine Kamera durch Tokio, eine wirkliche Metropole des 21. Jahrhunderts, vagabundieren lässt und dabei seinen Schauspielern immer unnachahmlich diskret nahe kommt? Der nichts, aber auch gar nichts falsch macht bis hin in einen der sublimsten Schlüsse der Kinogeschichte? Zu sagen nur dies: dass man ihm viele sehr einzelne – und zweisame – Zuschauer wünscht, abseits des Oscar- und sonstigen Getöses, das zweifelsfrei über ihn hereinbrechen wird. Und dass trotz der zwangsläufigen Übersetzung in Text – auch damit spielt der schillernde Titel „Lost in Translation“ – sein Zauber niemandem verloren gehen möge.

Ab Donnerstag in Berlin in den Kinos Cinemaxx Potsdamer Platz, Cinestar Sony Center (OV), Delphi, International, Kulturbrauerei, Odeon (OmU), Yorck und New Yorck .

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