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Kultur: Im Kampfgebiet

Journalisten mit Helm: Lars Klein über die Reporter in Vietnam und die amerikanische Medienpolitik im Krieg.

Jeder verlorene Krieg braucht einen Schuldigen. Im Vietnamkrieg wurde diese Rolle gern der angeblich nicht      kontrollierten und unpatriotischen Presse in den USA zugewiesen: Die Medien hätten die amerikanische Öffentlichkeit demoralisiert, gegen die eigene Regierung aufgebracht und sie bis zur militärischen Aufgabe geschwächt. Doch spätestens die Schuldbekenntnisse des damaligen amerikanischen Verteidigungsministers Robert McNamara in seinen 1995 erschienenen Memoiren widerlegten eine solche Deutung des Debakels.

Hier setzt die erhellende Studie von Lars Klein an. Der Göttinger Historiker nennt drei wesentliche Erzählungen über die Kriegsberichterstattung aus Vietnam und ihre Wirkung: Nach der einen hat sie die USA erst in den Krieg hineingezogen, weil die Berichterstatter dazu beitrugen, in Washington das Vertrauen in den südvietnamesischen Präsidenten Diem zu erschüttern, und letztlich seinen Sturz ermöglichten. Anschließend war das Weiße Haus gezwungen, selbst mehr Initiative zu übernehmen. Eine andere Version besagt, dass die Journalisten den amerikanischen Vietnamkrieg unterwandert hätten, indem sie mit ihrer kritischen Berichterstattung die öffentliche Meinung gegen den Krieg beeinflussten. Den Reportern käme so eine Mitschuld am als „verloren“ betrachteten Krieg zu. Die dritte Version hingegen bedeutet im Prinzip die Umkehrung der zweiten: Hier wird es als positiv angesehen, dass die Berichterstatter eine solche Wirkung erzielen konnten. Es wird ihnen angerechnet, die Sinnlosigkeit des Krieges erkannt und die Verantwortlichen zu einem Abzug der Truppen gezwungen zu haben. Sie hätten zudem den Grundstein für spätere kritische Berichterstattung gelegt.

Welche Erzählung kommt der Realität am nächsten? Keine, lautet das Ergebnis von Kleins Untersuchung. Sie zeigt, dass selbst die kritischsten Reporter aus den USA bei allen anfänglichen Zweifeln an der Strategie ihres Landes und später am amerikanischen Engagement in Südostasien doch überzeugte kalte Krieger geblieben waren. Im politischen Spektrum der Vereinigten Staaten mögen sie zwar als eher liberal gelten. Sie lassen sich aber weder der Linken noch der Antikriegsbewegung zuordnen. Dass diese Reporter als „kritisch“ oder gar „oppositionell“ bezeichnet wurden und werden, zeigt für Klein lediglich, in welch engen Grenzen sich der Journalismus in den USA bewegt. „Eine Kriegsreportage, die sich an der Arbeit der ,Vietnam-Generation’ der Reporter orientiert, kann im Kern nur konservativ sein.“

Klein entlarvt weitere Mythen: dass ohne Einschränkung aus Vietnam berichtet wurde und dass, daraus abgeleitet, sich Journalisten bei einer wenig restriktiven Medienpolitik leichter gegen die Kriegsanstrengungen positionieren. So war in der Zeit nach dem Vietnamkrieg der subjektive Eindruck der Journalisten entstanden, sie müssten sich mit immer neuen Einschränkungen auseinandersetzen und auf immer neue Gängelungen einstellen. In Wirklichkeit änderte sich aber kaum etwas in der Medienpolitik. Zumindest die Grundregeln amerikanischer Kriege waren einander seit der Intervention in Grenada 1983 sehr ähnlich: Der Zugang zu den Kampfgebieten wurde über Pools geregelt, die jeweils eine große Zahl unliebsamer Berichterstatter ausschlossen und die zugelassenen Journalisten eng an die Soldaten banden.

Vietnam gilt nicht nur als der erste militärische Konflikt, den die USA verloren, sondern auch als der erste Fernsehkrieg der Geschichte. Hier erkennt Klein zu Recht ein Problem. Denn die Idee des Fernsehkrieges schränkt den Blick auf solche Ereignisse ein, die Bilder produzieren und sich im kollektiven Bildgedächtnis festsetzen. So ist bis heute die Vorstellung, die Tet-Offensive 1968 von Vietcong und nordvietnamesischen Regierungstruppen habe den Wendepunkt bedeutet, nur schwer zu entkräften, da sich die Bilder von der Belagerung der US-Botschaft in Saigon in den Köpfen festgesetzt haben. In Wirklichkeit aber war dieses Ereignis von nebensächlicher militärischer Bedeutung. Die Tet-Legende entstand vor allem durch amerikanische Medien, die Wahrnehmung und Realität vor Ort nicht zu trennen wussten. Mit ihrer Hilfe schaffte der schließlich verlorene Krieg seine eigenen Mythen.



– Lars Klein:
Die „Vietnam-Generation“ der Kriegsberichterstatter. Ein amerikanischer Mythos zwischen Vietnam und Irak. Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 396 Seiten, 39,90 Euro.

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