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Ganz in Weiß. Die französische Sängerin und Schauspielerin SoKo als Loïe Fuller.

© prokino

Im Kino: „Die Tänzerin“: Über die Grenzen des Körper hinaus

Visionärin, Wegbereiterin, Superstar: Loïe Fuller verzauberte in der Belle Époque mit ihrem Serpentinentanz. Der Film „Die Tänzerin“ setzt ihr ein ästhetisches Denkmal.

Ein Show-Star wird eilig von der Bühne getragen, unter Blitzlichtgewitter und Geschrei stürzen Reporter hinterher. Das ist die erste Szene und schon die zweite Finte von „Die Tänzerin“. Nach klassischem Muster müsste diese Vorausblende gegen Ende wieder auftauchen, nachdem Marie Louise Fuller aus dem amerikanischen Westen zu einer der bedeutendsten Tänzerinnen der Belle Époque aufgestiegen ist. Dann der Sturz als Show-Down. Aber es kommt anders: Schon nach einem Drittel des Films, nach dem ersten Auftritt in Paris, bricht sie zusammen und dann wieder und dann wieder. Und, übrigens: Mit dem Filmtitel „Die Tänzerin“ ist gar nicht Fuller gemeint.

„La Loïe Fuller“, wie sie für die Bühne hieß, war eine visionäre Avantgardistin, heute würde man sagen: eine Performance- und Installationskünstlerin. Für den – damaligen wie heutigen – Begriff einer Tänzerin aber war sie nicht schön genug: zu kräftig gebaut und mit 25, als ihre Karriere begann, auch schon zu alt. Trotzdem überbot sie mit ihrem „Serpentinentanz“ jede auf der Bühne gesehene Grazie. Dafür verlängerte sie ihre Arme mit Stöcken und wirbelte ein überlanges weißes Seidenkleid in Spiral- und Wellenformen um sich. Ihre eigens entworfenen Lichtshows – um die Jahrhundertwende eine Sensation – tauchten das Bauschen und Wehen der flüchtigen Formen in Farbe. Von „Blütenträumen“ oder „getanzten Gedichten“ war damals die Rede; Stéphane Mallarmé sprach von einer „körperlichen Schrift im Raum“, sein Autoren-Kollege Paul Adam gar von einer „Materialisierung des Göttlichen“.

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Loïe Fuller, Superstar jener Zeit, war eine Wegbereiterin des modernen Tanzes. Trotzdem geriet sie in Vergessenheit, auch weil sie ihren „Serpentinentanz“ zwar patentieren, aber nicht filmen ließ. Dabei entstanden gerade um 1900 erste Filmaufnahmen in ebensolchen Variété-Theatern, wie Fuller sie bespielte.

Mit ihrem Kinodebüt nun setzt die Musik- und Modevideomacherin Stéphanie di Giusto der Serpentinentänzerin ein prächtiges Denkmal. Ihre Hommage spielt mit der Erwartung eines Biopics, lässt die Fakten aber bald hinter sich. Stattdessen steigert sie sich zum Psychogramm einer Frau, die über sich und ihren Körper hinauszuwachsen sucht: eine Kriegerin in der Schlacht mit sich selbst, die für jeden ihrer Bühnenzauber über ihre Grenzen ging.

Der Geist der Zeit verpackt in künstlerischer Wucht

Diesen Geist atmet der ganze Film. In jedem Detail steckt eine künstlerische Wucht, die dem exquisiten Team (die Kamera führt die Indie-Ikone Benoît Debie – dazu Choreografien von Fuller-Expertin Jody Sperling) und der fantastischen Besetzung zu verdanken ist: Die französische Künstlerin SoKo verkörpert Loïe Fuller mit einer intensiven, rauen Präsenz, schwankend zwischen absoluter Willensstärke und an Selbstverleugnung grenzender Unsicherheit. Gaspard Ulliel spielt den hinreißend zarten, äther-süchtigen Comte Louis, ihren Freund, Förderer und Seelenverwandten. Und Lily Rose-Depp brilliert als verführerisch-intrigante Isadora Duncan – die Tänzerin, die Loïe nie sein kann.

Stéphanie di Giusto wagte ein ästhetisches Experiment, das mit gängigen Mustern bricht. Doch hätte es noch radikaler sein dürfen. Weg mit der künstlichen Verlängerung des Plots um der Massentauglichkeit willen! Soll die Handlung doch auseinanderstreben! Es geht um die Bilder, die Metaphern! Um die kreative Explosion!

In den Berliner Kinos: Central, Cinema Paris, Cinemaxx, International, Kulturbrauerei, Yorck

Carolin Haentjes

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