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Da hinten hängen Sachen, die könnt ihr anziehen! Dan (links) und Kaajal turnen lieber nackt.

© Neue Visionen

Im Kino: "Fuck for Forest": Ungeniale Sex-Dilettanten

Sie quatschen pillenbedröhnte Berliner Partygänger an und tanzen nackt vor Indio-Kindern - alles, um den Regenwald zu retten. Der Dokumentarfilm „Fuck for Forest“ porträtiert Aktivisten, die mit erschütternder Weltverbesserungs-Naivität koloniale Klischees am Fließband reproduzieren.

Es ist dem polnischen Filmemacher Michal Marczak hoch anzurechnen, dass er in seiner Dokumentation „Fuck for Forest“ über eine gleichnamige Berliner Aktivistengruppe, die mit Pornovideos im Netz Fundraising für die Regenwaldrettung betreibt, mit Sexszenen spart. Hier mal ein gelangweiltes Gruppengefummel, dort flüchtige Bilder einer Hippie-Kopulation vor Hipster-Publikum mit – okay, das ist grenzwertig – anschließender Präsentation der sperma- und blutverklebten Hände zur gebrüllten Predigt über die Natürlichkeit dieser Dinge. Später noch ein halbsteif durch den Urwald schwengelndes Glied – das war’s dann aber fast schon.

Und das ist gut so: Denn so untalentiert in allem und gleichzeitig auf abstoßende Art selbstverliebt, wie die fünf „Fuck for Forest“-Aktivisten um den Norweger Tommy Hol Ellingsen da 80 Minuten lang rüberkommen, möchte man diese Leute nicht Sex haben sehen. Und sei es nur, weil damit die desillusionierende Erkenntnis verbunden sein könnte, dass sie – geniefreie Dilettanten allesamt, wohlig eingerichtet in einem Chaos aus pseudo-kunstiger Hippie-Kommune, katastrophalem Gitarrengeschrammel und Überlegenheitsgefühlen gegenüber der westlichen Restwelt – eins doch können: ficken.

Man muss den Aktivisten dabei gar nicht, wie es einige linke Gruppen tun, das Reproduzieren klassischer Geschlechterrollen und pornografischer Klischees vorwerfen, um sie, wie der Film sie zeigt, grausig zu finden. Man muss auch kein Problem damit haben, dass sie zwar öko-zottelig, doch dem westlichen Schönheitsideal folgend drahtig und schlank sind. Es reicht die exzessiv selbstgerechte Humorlosigkeit, es reicht die Herablassung der Erweckten, mit der vom pillenbedröhnten Berliner Partygänger bis zum palästinensischen Flüchtling alle Passanten vollgequatscht werden: mit Ratschlägen für ein gutes Leben ohne Kleidung und chemische Drogen; und Ansichten über die Schlechtigkeit der Welt, zu der die angesprochenen Normalos vermeintlich mehr beitragen als die Sex-Hippies selbst.

Ein großer, trauriger Spaß

Da hinten hängen Sachen, die könnt ihr anziehen! Dan (links) und Kaajal turnen lieber nackt.
Da hinten hängen Sachen, die könnt ihr anziehen! Dan (links) und Kaajal turnen lieber nackt.

© Neue Visionen

Gleichzeitig ist das ein großer, trauriger Spaß, den Marczak weniger durch filmische Mittel – die Handkamera gibt das kaum her – als vielmehr durch den Aufbau klug umsetzt: Vom Berliner Sex- und Spendenmarathon geht es zur Urwaldrettung ins brasilianisch-peruanische Grenzgebiet. Dort führen Mitglieder der Gruppe zunächst – allesamt gesegnet mit der kulturellen Sensibilität einer Abrissbirne – nackte Veitstänze vor Indio-Kindern in T-Shirts auf. Später werden sie vom Plenum der Bürger der Region darauf hingewiesen, dass man doch lieber einen Investor mit Businessplan und Jobs hätte als das Geld europäischer Weltverbesserer mit kruden Naturreservatsfantasien.

Als sie dann noch von einer Frau ein „In Europa kann man nackt rumlaufen, hier nicht“ entgegengeschleudert bekommen, und als Aktivistenoberhaupt Tommy – schockierend erwartbar überhaupt die erkennbar patriarchale Struktur der Gruppe – einer seiner drei Stammgespielinnen weinend an den Busen sinkt, derweil sich, wie es der Schnitt suggeriert, die Einheimischen einem Vertreter für Kettensägen zuwenden, ist schon alles zum Brüllen. Zum Brüllen komisch, weil hier als Nächstenliebe verbrämter Narzissmus entlarvt wird. Zum Brüllen traurig, weil die Figuren hinter einer charmanten Idee sich auch insofern als maßlos beschränkt entpuppen, als sie in ihrer Verehrung des „edlen Wilden“ koloniale Klischees am Fließband reproduzieren. Zum Brüllen ärgerlich, weil sie damit bloß Zyniker in ihrer Skepsis gegenüber „Weltverbesserern“ und Gegenkultur bestärken.

Die Frage bleibt nun, wer daran Schuld trägt. Unter anderem im Tagesspiegel warfen die Aktivisten dem Filmemacher massiv vor, sie zum katastrophalen Urwald-Ausflug angestiftet und bewusst als naive Spinner dargestellt zu haben. Der Berliner Premiere des Films am Dienstagabend im Kreuzberger Freiluftkino ließen sie im Kit-Kat-Club eine „Der Film ist eine Lüge!“-Party folgen. Indes: Es ist gar nicht die Naivität, die so nervt. Sondern – neben dem Fehlen jeder Selbstdistanz – der autoritäre Anspruch, über alles richten zu können. Der verbirgt sich auch in der dummen Wertung „Lüge“ für einen Dokumentarfilm. Man möchte die Welt nicht erleben, in der solche Leute tatsächlich etwas bewirken. Aber: Das macht die Welt nicht besser, in der ihre Aktivitäten, hoffentlich, scheitern.

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