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Clara (Isabél Zuaa) kennt die richtige Soßenwürze für eine angehende Werwolf-Mutter.

© Edition Salzgeber

Im Kino: „Gute Manieren“: Mutter und Werwölfin

Das brasilianische Sozialdrama „Gute Manieren“ verbindet eine lesbische Liebesgeschichte mit Elementen des romantischen Horrorfilms.

Von Andreas Busche

Die Skyline São Paulos ist von beiden Enden des gesellschaftlichen Spektrums aus gut zu sehen. Für den wohlhabenden Teil der Bevölkerung spiegelt die Silhouette die eigene Lebensrealität wieder, auf die Menschen in den den Favelas müssen die Wolkenkratzer wie ein ferner Sehnsuchtsort wirken. Er ist für die brasilianische Unterschicht nur erreichbar, weil ihre billige Arbeitskraft benötigt wird.

Clara (Isabél Zuaa) bewegt sich nahezu unbemerkt in dieser Welt, obwohl ihre Hautfarbe sie als eindeutig nicht zugehörig kennzeichnet. Die schweigsame Frau arbeitet als Kindermädchen, ohne abgeschlossene Ausbildung allerdings, weil sie sich um ihre kranke Großmutter kümmern musste. Einen Vorteil hat sie jedoch gegenüber ihrer weißen Mitbewerberin, die ebenfalls für den Job bei der schwangeren Ana (Marjorie Estiano) vorspricht. Sie könne ja gleich noch den Haushalt mit erledigen, meint Ana, worauf Clara widerwillig entgegnet, dass die Stelle doch nur für ein Kindermädchen ausgeschrieben war.

Die Wolkenkratzer-Silhouette thront über São Paulo

So skizziert das Regie-Duo Juliana Rojas und Marco Dutra gleich in den Anfangsminuten seines Films „Gute Manieren“ mit wenigen, präzisen Strichen ein Bild der brasilianischen Gesellschaft. Die fast fotorealistische, gleichzeitig hochgradig stilisierte Stadtsilhouette, die sich im Hintergrund abzeichnet, gibt bereits eine Vorahnung von den Registern, zwischen denen ihre Geschichte changiert: dem Sozialdrama und dem Märchen. Rojas und Dutra arbeiten mit altmodischen Matte Paintings, ihr Film, der im vergangenen Jahr in Locarno mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde, überzeugt durch ausgeklügelte Künstlichkeit: von den Interieurs bis zur Lichtregie. Die Welt der Reichen wirkt unbehaust, trotzdem ist Clara froh, als sie bei Ana einziehen kann. Auch eine Form sozialer Aufwärtsmobilität.

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Schon bald darauf sieht man Clara ihrer neuen Chefin die Taschen beim Shopping hinterhertragen. Die sozialen Konventionen lassen sich nicht so leicht abschütteln. Dennoch entwickelt sich zwischen den so unterschiedlichen Frauen eine Freundschaft, die die Klassengegensätze jedoch nie ganz überwinden kann. Auch Ana ist eine Außenseiterin, ihre Familie, eine alte Plantagendynastie, hat sie wegen ihres unehelichen Babys verstoßen. Was sie darüber hinaus verbindet, ist eine besondere Form der "Fleischeslust": Während Clara nachts durch die Queerbars von São Paulo streift, schlafwandelt Ana durchs Apartment und macht sich über das rohe Fleisch im Kühlschrank her. Als Clara sie dabei ertappt, verbeißt sich Ana halb gierig, halb leidenschaftlich im Hals ihrer Hausangestellten.

Folkloristische Mythen und sexuelle Begehren

So unmerklich, wie sich die Körperhaltung der spröden Clara verändert, weicher wird, so subtil wechselt auch der Film seine Tonalität. Denn was in Anas Bauch heranwächst, ist nicht menschlicher Natur. „Die Augen und der Mund sind groß“, meint der Arzt beim CT. Irgendwann erzählt Ana von einer Nacht mit einer Bestie in Menschengestalt, folkloristische Werwolf-Mythen verbinden sich mit sexuellen Begehren. Und wie kann man die Liebste am besten in ihrem existenziellen Heißhunger auf Fleisch besänftigen? Man schmeckt die Tomatensoße einfach mit etwas eigenem Blut ab.

Bemerkenswert daran ist, dass sich Rojas und Dutra auf kein Genre festlegen lassen, weder das Sozialdrama noch die lesbische Werwolf-Romanze. Denn letztlich handelt „Gute Manieren“ von einer fantastischen Patchworkfamilie: zwei Müttern und ihrem sehr haarigen Baby.

In den Berliner Kinos b-ware, FSK, Wolf, Zukunft (alle OmU)

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