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Amerikanischer Traum. Gardener Lodge (Matt Damon) und seine Schwägerin (Julianne Moore) gehen über Leichen.

© Concorde

Im Kino: "Suburbicon": Hier gibt’s auf die Nase

Star-Ensemble auf Retrokurs: George Clooney, Matt Damon und Julianne Moore in der Kleinstadtsatire „Suburbicon“.

Von Andreas Busche

Das Leben in Suburbicon hat seine Annehmlichkeiten. Die 60 000-Einwohner-Siedlung vom Reißbrett ist der Gegenentwurf zur amerikanischen Nachkriegsmoderne der fünfziger Jahre. Es gibt keine Rushhour, die Vorgärten sind sauber abgezirkelt, die Gemeinde verfügt über Schulen, eine Feuerwehr und sogar einen eigenen Kirchenchor. Vor allem aber bleibt man hier unter sich. Der kurze Werbefilm, der in George Clooneys sechster Regiearbeit „Suburbicon“ jovial die Vorzüge des Lebens in der Vorstadt anpreist, betont die Diversität seiner Bewohner: ein repräsentativer Querschnitt des good old America. Der Traum nach einem Leben in Wohlstand hat strahlende Mittelklassefamilien aus dem ganzen Land nach Suburbicon gebracht. Natürlich sind sie dennoch allesamt weiß, selbst – das ist die Pointe – die junge Familie aus Mississippi.

Rassentrennung ist noch tief in der DNA des Eisenhower-Amerikas verankert. Die Mayers-Familie, gerade in Suburbicon angekommen, bekommt das schnell zu spüren. Dem Briefträger klappt die Kinnlade runter, als die schwarze Frau an der Tür sich als Dame des Hauses und nicht als Dienstmädchen vorstellt, auf der Gemeindesitzung wird eine offizielle Erklärung vorgetragen, in der die Anwohner auf ihr Recht pochen, unter ihresgleichen zu leben.

Das Drehbuch stammte ursprünglich von den Coen-Brüdern

Die Bilder von wutverzerrten Gesichtern weißer Amerikaner (und Amerikanerinnen) sind inzwischen nur zu vertraut. Sie werden von den Medien seit der Wahl Donald Trumps herangezogen, um den kulturellen Bruch zu illustrieren. Man müsste für diesen gesellschaftlichen Befund nicht in die jüngere amerikanische Geschichte zurückgehen. Aber „Suburbicon“ greift ebenso auf einen alten Topos im Hollywoodkino – und in der amerikanischen Literatur – zurück. Der Werbefilm zu Beginn von Clooneys Satire bedient sich eines Bilder-Repertoires, das direkt aus der Kinogeschichte stammen könnte: den Filmen von Douglas Sirk, „Die Frauen von Stepford“, „Blue Velvet“, „American Beauty“ oder „Revolutionary Road“. Die Suburbia als Manifestation des Unheimlichen in der amerikanischen Gesellschaft – und ein Herd unterdrückter Gewalt.

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Die Coen-Brüder haben in ihren eigenen Filmen die mentale Vervor- und Verkleinstädterung Amerikas – und dessen Gewaltfixierung – immer wieder genussvoll kommentiert. Ihr Drehbuch zu „Suburbicon“ datiert aus den späten achtziger Jahren. Die Brüder haben es im Frühstadium ihrer Karriere nie zur Reife gebracht und irgendwann scheinbar das Interesse verloren. Dreißig Jahre später merkt man dieses Manko auch der Verfilmung von Clooney an.

Das (weiße) Soziotop Vorstadt als Folge der Stadtflucht der arrivierten Mittelklasse in den Sechzigern erfährt gerade ja wieder neue mediale Aufmerksamkeit. Im Grunde beginnt das Lebensgefühl der Trump-Anhängerschaft gleich hinter der Stadtgrenze, in den gated communities und an der traditionell konservativen Peripherie der Metropolen. Und ist eben nicht ausschließlich ein Phänomen im abgehängten „Rostgürtel“ der USA. (Bei der letztjährigen Präsidentschaftswahl erzielten die Republikaner eines ihrer besten Ergebnisse in Beverly Hills, gewissermaßen im Herzen der Filmindustrie). Was hätte „Suburbicon“ unter dieser Prämisse also für ein böser Film werden können!

Ein bedrohliches Grundrauschen für den Mörderplot

Amerikanischer Traum. Gardener Lodge (Matt Damon) und seine Schwägerin (Julianne Moore) gehen über Leichen.
Amerikanischer Traum. Gardener Lodge (Matt Damon) und seine Schwägerin (Julianne Moore) gehen über Leichen.

© Concorde

Clooney und sein langjähriger Produzent und Drehbuchautor Grant Heslov haben das Coen-Skript nur notdürftig entstaubt und um die Geschichte der Mayers ergänzt. Wirklich in denVordergrund tritt dieser Handlungsstrang allerdings nicht, er liefert eher alibimäßig ein atmosphärisch-bedrohliches Grundrauschen für den eigentlichen Mörderplot um die Figur von Gardener Lodge (Matt Damon), dessen Frau (Julianne Moore) bei einem nächtlichen Überfall von zwei degenerierten Brutalos umgebracht wird. Der Mord schreckt die Einwohner der Vorzeige-Siedlung auf, schnell wird ein Zusammenhang zur Ankunft der afroamerikanischen Familie gezogen. Die Umgangsformen werden drastischer. Erst ziehen die Nachbarn einen blickdichten Zaun um das Haus der Mayers hoch, bald darauf tobt Tag und Nacht ein rassistischer Mob vor der Tür. Doch während auf der Straße der Protest gegen die Neuankömmlinge zunehmend gewalttätige Ausmaße annimmt, eskaliert in der Lodge-Residenz unbemerkt die domestizierte Gewalt.

Sohn Nicky wundert sich, dass plötzlich Tante Margaret, die Zwillingsschwester seiner Mutter (ebenfalls gespielt von Julianne Moore) bei ihnen einzieht. Noch mehr verstört ihn allerdings, dass sein Vater bei einer Gegenüberstellung auf dem Polizeirevier die beiden Täter nicht identifiziert. Die statten Lodge kurz darauf einen Besuch im Büro ab und demolieren ihm die Nase. Als auch noch ein windiger Versicherungsagent (Oscar Isaac) vor der Tür steht und einen Versicherungsbetrug wittert, scheint ihm sein schöner Plan endgültig aus den Händen zu gleiten.

"Suburbicon" besteht eigentlich aus zwei Filmen

Das Original-Drehbuch besteht großenteils aus Standardfiguren des Coen-Universums, Matt Damon hat seine Hollywoodkarriere ja mit der Figur des Allerweltspießers begründet. Gardener Lodge fehlt jedoch die existenzielle Verzweiflung eines Jerry Lundegaard („Fargo“) oder die philosophische Autosuggestionskraft des „Dude“ Lebowski, „Suburbicon“ verlässt nie das embryonale Stadium eines frühen Drehbuchentwurfs. Damons nächtliche Flucht auf einem Kinderfahrrad, blutverschmiert und panisch, bleibt das einzig denkwürdige Bild, das es vielleicht einmal in den Coen-Kanon schaffen wird.

Die Handschrift von Clooney, der einige seiner besten Auftritte in Filmen der Coens hatte, schlägt sich vor allem im Nebenplot um die Mayers-Familie nieder, der auf wahren Ereignissen basiert. Die Übergänge zwischen diesen eigentlich zwei Filmen sind deutlich spürbar, die Bemühungen, der überholten Suburbia-Erzählung aktuelle Relevanz abzugewinnen, sind so durchsichtig wie ärgerlich.

Die Nonchalance, mit der „Suburbicon“ vom amerikanischen Rassismus erzählt, ist angesichts der politischen Realität schon fahrlässig, zumal die Mitglieder der Mayers-Familie nur Randfiguren bleiben. Dass Hollywood, und insbesondere selbsterklärte liberale Vertreter der Filmindustrie wie Clooney, Haslov und Damon sich heute noch auf die fünfziger Jahre beziehen müssen, um etwas über die gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA zu erzählen, ist eine ziemliche Bankrotterklärung. Als Satire wirkt „Suburbicon“ fast so bieder und harmoniesüchtig wie jener slice of life, dem ihr Film den Spiegel vorhält. Eine einzige Verschwendung von Talent.

Ab Donnerstag in 12 Berliner  Kinos, OmU: Babylon Kreuzberg, Filmtheater am Friedrichshain, International, Kulturbrauerei, Odeon. OV: Cinestar Sony-Center

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