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Kultur: Im Kopf des Architekten

Baumeister und Sammler: Die Neue Nationalgalerie Berlin widmet Oswald Mathias Ungers eine große Werkschau

Ein Haus, zwei Architekten. Der eine hat es erbaut, der andere eingerichtet. Ein Gipfeltreffen zweifellos, denn eine Ausstellung von Oswald Mathias Ungers im Mies-van-der-Rohe-Bau zu Berlin, das hat olympische Qualitäten. Jeder Zoll dieses Tempels der Moderne ist von seinem Erbauer durchdacht; jedes Objekt, das Ungers in der gläsernen Halle der Neuen Nationalgalerie nun platziert hat, ist deshalb wie auf einem Schachbrett strategisch bedacht. Modelle, Aufrisse, Fotografien der ausgeführten Werke gehören zum Repertoire jeder Architekturausstellung. Bei Ungers allerdings, diesem Großmeister des rationalen Bauens und Begründer einer ganzen Schule, kommen eine exquisite Kunstkollektion und eine erstrangige Büchersammlung hinzu.

Zeitlebens hat der heute 80-Jährige sein Schaffen mittels anderer Disziplinen reflektiert: in den Schriften der Antike bis hin zu Kunstwerken der Gegenwart. Das hat Folgen auch für seine Selbstdarstellung in der Ausstellungspräsentation. Man sieht nicht nur Beispiele aus einem langen Arbeitsleben – man betritt den Denkraum eines Baumeisters. „Kosmos der Architektur“ ist die gestern eröffnete Werkschau überschrieben. Darunter macht es ein Ungers nicht, schon gar nicht im Gehäuse seines berühmten Kollegen.

Nach Renzo Piano, dem Italiener, und Rem Koolhaas, dem holländischen Querdenker und -bauer, wird nun dessen Lehrer Oswald Mathias Ungers als erstem lebenden deutschen Architekten diese Ehre zuteil. Drei Jahre lang hat dieser Perfektionist und kühle Denker mit seinem Kölner Büro an dem Plan gefeilt. Nach erfolgreichen Ausstellungen in Vicenza, Düsseldorf und Köln gilt es für ihn in Berlin immer noch etwas zu gewinnen – oder zu verlieren. Wer die Stadt heute durchfährt, sieht sie geprägt von seinem Rasterdenken, dem berühmten Quadrat – durch eine Vielzahl eigener Bauten, das Familiengericht am Landwehrkanal, das Quartier 205 in der Friedrichstraße, das Abwasserpumpwerk im Tiergarten oder die Wohnbebauung in der Köthener Straße, schließlich durch Werke seiner Nachfolger, Kollhoff, Dudler, Mäckler und Sawade, denn Ungers hat auch als Lehrstuhlinhaber an der TU seinen Stempel aufgedrückt.

Wie kein anderer ist Ungers außerdem mit der Museumsarchitektur der Stadt verbunden. Zu seinen frühesten Entwürfen gehört ein Plan für das Kulturforum, mit dem er den Wettbewerb jedoch nicht gewann. Auf Ausführung wartet seit sechs Jahren der abschließende gläserne Riegel für das Pergamonmuseum, mit dem die dort untergebrachten Sammlungen endlich eine adäquate Präsentation erfahren würden. Für Ungers wäre das die Krönung eines Lebenswerks, nachdem er bereits in Hamburg, Köln, Düsseldorf und Frankfurt Kunsthäuser errichtet hat.

Die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie ist von all diesen lang gehegten Wünschen und konkreten Wirklichkeitsbezügen jedoch weit entfernt. Sie befindet sich in einem Zustand der Schwerelosigkeit, der Klassizität, wo sich von selbst erübrigt, ob etwas gebaut worden ist oder allein als genialer Entwurf existiert. Die 36 perfekt auf die Bodenplatten der gläsernen Halle platzierten Holzmodelle geben letztlich keine Auskunft darüber, was aus ihnen in der Realität geworden ist. Wir befinden uns hier im Kopf des Architekten; da sind ihm alle Pläne gleich viel wert. Die Anmutung ist großartig, ein Schweben in der transparenten Hülle von Mies.

Die Verwischung zwischen Leben und imaginiertem Idealzustand setzt sich fort in den Fotografien, die einzig und allein die geometrischen Perfektion zelebrieren. Nur eine Ausnahme gibt es unter all den Bildern: die Spiegelung der Wolkenformationen in den quadratischen Fenstern der Friedrichstadt-Passage. Die Flüchtigkeit dieser Momentaufnahme hat etwas Anrührendes bei all dem ehernen Gewicht und Ewigkeitsgeheische, ähnlich passiert es bei den kleinen originalen Zeichnungen von Le Corbusier für seinen Entwurf „Une petite maison“. Einzig in diesen fragilen Tuschezeichnungen, die zusammen mit den kostbaren Prachtbänden eines Alberti, Vitruv oder Palladio aus konservatorischen Gründen nur donnerstags von 17 bis 22 Uhr zu sehen sind, wird die Originalhandschrift eines Architekten, ein Autograf, vorgestellt. Nur ist es leider nicht die des Ausstellungsprotagonisten, nicht die von Ungers selbst.

An diesen Baumeister sind andere Maßstäbe anzusetzen, das hat er von Anfang an klar gemacht und manifestiert es nun in seiner Berliner Werkschau. Wie kaum ein anderer Architekt in Deutschland befragt er immer wieder die Grundlagen seines Schaffens, reduziert die Formensprache auf das Regelwerk von Kreis, Quadrat und den Satz des Pythagoras. Den Besucher der Nationalgalerie empfangen deshalb etwas demonstrativ drei Bodenarbeiten prominenter Künstler: ein stählernes Quadrat von Bruce Nauman, ein steinerner Kreis von Richard Long – übrigens Eifeler Basalt als Anspielung auf die Herkunft des Architekten – und Carl Andres „The Voiden Closed by the Squares of Three, Four and Five“. Darin besteht auch ein Problem für die Kunstsammlung als Ausstellungsobjekt. Ungers hat seine Erwerbungen stets auf der Suche nach klassischen Ruinen, nach geometrischen Formen gemacht. Zweifellos besitzt er darin einen exzellenten Geschmack, doch geraten noch so großartige Referenzwerke von Piet Mondrian, Albers’ „Hommage to the Square“ oder von barocken Turmbauten zu Babel zu einer spröden Bilderkette, die nur ein formalistisches Kriterium vereint.

Wie anders muss all dies in den Privathäusern des Baumeisters wirken, von denen der Katalog spricht. Am Anfang steht das Einfamilienhaus in Köln-Müngersdorf, ergänzt in den Neunzigern durch einen Kubus für die Bibliothek, es folgt die Villa in der Eifel, am Ende das „Haus ohne Eigenschaften“ unweit vom Ursprungsbau. Hier verdichtet sich das Denken des Architekten, beleben sich die Querbezüge vom Alabastergipsmodell des Parthenon bis zu den eigenen Hochhausvisionen, schlagen Vitruvs Schriften plötzlich wieder Feuer. Vor dem geistigen Auge steht plötzlich das Londoner Wohnhaus von John Soane, dem Erbauer der Bank of England, fast eine Rumpelkammer mit all den übereinander gelagerten Modellen, Schriften, Kunstobjekten, bis heute im wispernden Gespräch. Ungers’ Berliner Architektur-Kosmos wirkt dagegen ernüchternd. Und irgendwo kichert Mies.

Neue Nationalgalerie, bis 7. 1.; . Katalog (HatjeCantz Verlag) 20 €.

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