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Kultur: Im Licht des frühen Wintermorgens

Wenige Worte sagen viel: „Maboroshi – Licht der Illusion“ erzählt vom Leben nach dem Tod

Plötzlich ist er nicht mehr da. Yumikos Ehemann ist vor einen Zug gelaufen, eines Tages nach der Arbeit in der Fabrik. Ein unverständlicher Tod: Ein Unfall kann es nicht sein. Aber Selbstmord? Das Leben des jungen Paares war glücklich, ihr kleiner Sohn gerade drei Monate alt. Yumiko erstarrt in Trauer. Erst einige Jahre später ist sie bereit, sich mit einem anderen Mann verkuppeln zu lassen, auch er Witwer, und reist zu ihm und seiner Tochter in ein kleines Fischerdorf am Meer. Ein neues Leben nimmt seinen Lauf. Doch die Erinnerung ist jeden Augenblick gegenwärtig.

Die Beschäftigung mit existenziellen Fragen hat den jungen japanischen Regisseur Kore-Eda Hirokazu seit einem früheren Dokumentarprojekt nicht mehr losgelassen. Vielleicht hat er da gelernt, dass man nicht alles zeigen muss, um viel zu sagen. „Maboroshi – Licht der Illusion“ braucht wenige Worte. Keine Schuss-Gegenschuss-Mechanik, auch keine Großaufnahmen von Gesichtern. Die Figuren sind Teil der Umgebung, wie Schatten bewegen sie sich manchmal durch die Einstellungen. Oft sind sie dort gerade erst angekommen oder schon fast nicht mehr da. Und doch ist es neben der Langatmigkeit der Natur die Präsenz von Menschen und ihren Gegenständen, die Trost und Geborgenheit gibt: Eine fragende Stimme. Ein glimmendes Teeöfchen. Hände, die eine Tasse halten. Viel Dunkel. Doch auch das klare Licht früher Wintermorgende. Einmal, da hat Yumiko gerade vom Tod ihres Mannes erfahren, spiegelt sich ihr Profil im regennassen Zugfenster, während draußen die bunten Lichter des Lebens vorbeiziehen.

Es sind die Räume, die diesem Film Tiefe geben, nicht bedeutungsschwere Gespräche. Räume, die Reflektionen eröffnen und Erinnerungen wecken. Dialektik von Drinnen und Draußen, Durchblicke auch immer wieder, die innerhalb des Filmkaders neue Rahmen aufstellen, wie es in japanischen Filmen nicht selten ist. Am Schluss dann ein Trauerzug zwischen Himmel und Horizont im Meer. Und einmal ausdrücklich die Frage nach dem „Warum“, die den ganzen Film über im Raum steht. Yumikos Ehemann beantwortet sie mit einem Erlebnis seines Vaters, der eines Tages von einem seltsamen Licht draußen vom Meer angelockt wurde, einem „maboroshi“. „Es kann jedem passieren“, sagt er. Dann sitzen Yumiko und Tamio vor dem geöffneten Fenster: „Es wird wärmer, nicht“ sagt sie. Er antwortet „Ja, gewiss“. Und man könnte fast in einem Ozu-Film sein.

Bis letzte Woche noch war im fsk-Kino ein späterer Film von Kore-Eda zu sehen. Auch „After Life“ (1999) beschäftigte sich, wenn auch aus ganz anderer Perspektive, mit dem Leben nach dem Tod. „Maboroshi“ ist schon 1995 entstanden. Doch er hat die Zeit nicht zu fürchten. Im Gegenteil: Dem Verwertungsdrang des täglich Neuen, der das Kino immer mehr zu einer Maschine des Vergessens macht, mit einer entschleunigten Aufführungspraxis auch praktisch ein Gegenprogramm entgegenzusetzen, ist heute aktueller denn je.

fsk (OmU)

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