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Im Mondpalast: Die Tradition Rheinsbergs wiederbeleben

20 Jahre Kammeroper Schloss Rheinsberg: Zur Eröffnung gibt’s „Frau Luna“ von Paul Lincke.

Im Sommer 1990 hat Rheinsberg nicht viel mehr zu bieten als seinen klangvollen Namen. Die unbeschwerten Jugendjahre Friedrichs des Großen! Der Musenhof seines Bruders Heinrich! Kurt Tucholskys Novelle von Claire und Wölfchen! Das Barockschloss aber, um das sich hier Jahrhunderte lange alles kulturelle Leben gedreht hat, ist nach der Nutzung als Diabetiker-Sanatorium stark verwohnt, das einstige Hoftheater nurmehr eine traurige Ruine.

Der Mann allerdings, der am 29. Juni vor die Rheinsberger Stadtverordneten tritt, hat eine Vision: Er will die musikalische Tradition des Ortes wiederbeleben, mit einem Opernfestival. Keine Schickimicki-Veranstaltung soll das werden, sondern eine sommerliche Werkstatt für Nachwuchstalente. Siegfried Matthus, der Star unter den DDR-Komponisten, kennt das Potenzial Rheinsbergs, seit er hier seine Gymnasiastenjahre verbrachte. Die Lokalpolitiker lassen sich begeistern, stimmen gegen den Rat wohlmeinender Westler, die ein Schloss-Hotel favorisieren – und für das Musiktheater-Feriencamp im ehemaligen Kavaliershaus.

1991 startet die „Kammeroper Schloss Rheinsberg“ mit 3000 Besuchern, 1994 kommen bereits 14 000, bald werden allsommerlich über 20 000 Tickets verkauft, vor allem an Ausflügler aus Berlin, die es immer wieder ins preußische Arkadien am Grienericksee zieht. Und wenn das Wetter mitspielt, wenn die Abendsonne Schloss und Park in goldenes Licht taucht, wie am Sonnabend zur Eröffnung der 20. Saison mit Paul Linckes „Frau Luna“-Operette, dann kann Rheinsberg wirklich ein magischer Ort sein.

Ohne die Kammeroper, das weiß hier jeder, wäre das Städtchen im Ruppiner Land kaum so eine Tourismusattraktion geworden, zumal noch Negativschlagzeilen über das örtliche Atomkraftwerk und seine rechtsradikalen Brandstifter hinzukommen. Ohne den Besucheransturm hätte sich auch die Instandsetzung der weitläufigen aristokratischen Anlage viel länger hingezogen. 1998 wird das barocke Heckentheater publikumsfreundlicher gestaltet, 1999 kann das neu aufgebaute Hoftheater eingeweiht werden. Seit 2008 erstrahlen alle Fassaden wieder in hellen Farben, als letzte gärtnerische Maßnahme werden derzeit die Rabatten am östlichen Schlossgraben neu angelegt.

Matthus kennt Rheinsberg - er ging hier zur Schule

Besonders die Rheinsberger Hoteliers sind Siegfried Matthus dankbar – so dankbar, dass seit 2007 ein Gebäude seinen Namen trägt, jene Mehrzweckhalle auf dem Gelände des künstlichen „Hafendorfs Rheinsberg“ nämlich, in die bei Regen die Freiluft-Aufführungen umziehen können. Das Foyer dieser „Siegfried-Matthus-Arena“ ziert eine Statue des Tonsetzers, die hier tatsächlich wie ein Duodezfürst regiert.

Als die Politik 1998 beschließt, dass nicht die Kammeroper, sondern die konkurrierende Musikakademie Rheinsberg für die kontinuierliche Bespielung des Schlosstheaters zuständig sein soll, reicht Matthus postwendend seine Kündigung ein. Kein Problem, kontert der damalige Brandenburgische Kulturminister Steffen Reiche: Schließlich habe sich die Kammeroper-Idee „als so tragfähig erwiesen, dass sie auch unter einer neuen künstlerischen Leitung Bestand haben wird.“

Für viele Sänger war Rheinsberg Sprungbrett zur Karriere

Natürlich kehrt der Komponist dann doch auf sein Schloss zurück, zumindest als Sommerkönig des Festivals. 350 Opernabende sind mittlerweile unter seiner Ägide über die Rheinsberger Bühnen gegangen, über 500 Sänger stellten sich in 65 verschiedenen Inszenierungen vor. Berühmte Namen haben hier gearbeitet – Regisseure wie Harry Kupfer und August Everding, John Dew und Götz Friedrich, Dirigenten wie Christian Thielemann („Ariadne“ 1995), Rolf Reuter oder Michael Hofstetter – und für so manchen jungen Teilnehmer wurde die Sommerfrische tatsächlich zum Karrieresprungbrett. Die „Figaro“-Gräfin von 2000, Annette Dasch, ist heute ein Weltstar, Claudia Barainsky wird als Neue-Musik-Spezialistin geschätzt, Karolina Gumos singt an der Komischen Oper, Yosep Kang an der Deutschen Oper.

Ob es einige der diesjährigen Solisten auf die ganz großen Bühnen schaffen werden? Unter 445 Bewerbern konnten die Rheinsberger auswählen, 42 Talente aus 16 Ländern wurden engagiert. Bei Paul Linckes „Frau Luna“, diesem schrägen Operettenklassiker von 1899 über Berliner Jungs auf ihrer Reise zum Mond, fallen am Eröffnungsabend vor allem Richard Resch, Sebastian Naglatzki und Manuel Kundinger positiv auf: Weil ihre fidelen Bühnenkumpels Steppke, Pannecke und Lämmermeier auch stimmlich ein stimmiges Trio abgeben. Titelheldin Denise Schönefeld setzt sich mit üppigem Sopran mühelos gegen die lautstark überm Schlosshof kreisenden Schwalben durch.

Es ist ein rustikales Vergnügen, das Dirigent Georg Menskes da mit dem Staatsorchester Braunschweig anrichtet. Mitklatsch-Amüsemang für hart gesottene Operettenfans, das in Detlef Soelters „szenischem Arrangement“ standhaft jeder Versuchung widersteht, das Genre durch liebevolle Ironisierung aus seiner Altberliner Gemütlichkeit zu befreien. Aber die Atmosphäre ist perfekt, sommermärchenhaft strebt die Sonne während der ersten beiden Akte zwischen den Kolonnaden dem Horizont zu, den Nachhauseweg begleitet eine safrangelbe Vollmondscheibe über der brandenburgischen Prärie. Wie heißt es in Heinrich Bolten-Baeckers Libretto: „Um im Glück dich einzuwiegen, hast du auf der Erde Platz!“

Das Festival läuft bis 14. Aug. Infos: www.kammeroper-schloss-rheinsberg.de

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