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Kultur: Im Namen der Dose

Nicht haltbar: Richard Jones‘ „Wozzeck“ an der Komischen Oper Berlin

Wir arme Leut, ach ja. Was wurde in letzter Zeit nicht alles herangekarrt, um das so genannte Sozialkritische in Bergs „Wozzeck“ glaubhaft zu machen – wieviele Sixpacks, Plastiktüten, Trainingshosen und Küchenmesser ... Erst Peter Konwitschny räumte mit Rinnstein-Klischees wie diesen auf, zeigte, dass das Unglück der Unglücklichen heute vielmehr im Überfluss liegt und also in unser aller sattem, leerem Leben – und ließ Wozzeck und Marie an der Hamburgischen Staatsoper kurzerhand in Geldscheinen waten, knöcheltief. Eine Lesart, die kaum zu kopieren sein dürfte, weshalb sich andere, jüngere Theatermacher (Barbara Beyer in Aachen, Sebastian Baumgarten in Dresden) auf die Suche nach einer neuen Härte begaben, nach ihrer eigenen „Armut“, wenn man so will - und nicht selten dabei im Theatralischen selbst die verlorene Utopie entdeckten.

Richard Jones‘ „Wozzeck“-Inszenierung an der Komischen Oper fällt reichlich 20 Jahre hinter diese Entwicklungen zurück. Vielleicht sind es aber auch nur zehn, denn die Konservendosenfabrik, in der Wozzeck, Andres (Markus Schäfer) und die anderen schuften, sie kommt – britischer Humor? Satire? tiefere Bedeutung? – als neckische Abstraktion daher. Arbeitest du noch oder lebst du schon: Eine Art Müllschlucker dient hier als Einheitsambiente, ein Schacht in Fichtenholz gehalten, mal mit blitzendem Konservendosenförderband garniert, mal mit dem Kunstledersofa des Tambourmajors (Jürgen Müller), der hier so etwas wie den Konservendosenfabrikbesitzer vorstellt, den Golf spielenden Tycoon eines Baked-Beans-Imperiums. In Mariens Stube wiederum dürfen Kühlschrank und Fernseher nicht fehlen, und als running gag dient ein knallfarbener Schuttcontainer, der immer größer und größer wird, um rechtzeitig zur finalen Metzelei den ganzen Raum auszufüllen (Bühne Paul Steinberg).

Und so werden die 15 Szenen denn textgetreu durchdekliniert: Wozzeck trägt einen Löffel um den Hals und löffelt seine Bohnen oder krümmt sich embryonal am Boden; Hauptmann und Doktor (wunderbar idiomatisch: Andreas Conrad und Carsten Sabrowski) ergehen sich in präzisen Fiesheiten; auf dem Kopf des Narren (Werner Enders) thront, wie lustig, eine Riesendose als Hut; und der armen Marie erscheint der Tambourmajor sogar noch im Gebet, als Zeremonienmeister ihrer Bibel-Lektüre. Zum Mordinstrument aber wird, nun denn, der gezackte Rand eines Dosendeckels erklärt, und wenn Wozzeck schließlich mit bluttriefenden Unterarmen in klappernden Dosenbergen nach seiner Waffe sucht, dann weiß man endgültig nicht mehr, warum Andreas Homoki ausgerechnet Richard Jones für dieses Stück erkoren hat: den Mit-Erfinder des gehobenen Comic-Strip (bei Händel, bei Tippett, bei Wagner), einen der virtuosesten Oberflächenbehandler des europäischen Regietheaters. Inhalte aber interessieren Jones buchstäblich nicht die Bohne. Das hätte man wissen können.

Die musikalische Seite des Abends präsentierte sich stark – und hatte doch wenig Chancen. Manfred Honeck und das gut disponierte Orchester der Komischen Oper setzten mit Erfolg auf Durchhörbarkeit, auf die gläsernen, kammermusikalischen Töne der Partitur, was einerseits anrührte, andererseits im Suggestiv-Sinnlichen auch Abstriche bedeutete. Dafür boten Garry Magees Wozzeck und Gun-Brit Barkmins Marie ein geradezu idealtypisch besetztes Paar. Er mit samtig-virilem Bariton-Timbre, ganz geschlagene Kreatur und stets wie abwesend wirkend, als hätte er sich längst in andere Welten geflüchtet, sie mit leuchtender Emphase und sehr bodenständig auch im Schmerz, wobei ihre Diktion sich bisweilen ein wenig zu deutlich am Weill‘schen Gestus orientierte. Ein letzter lästiger Zwischenvorhang, dann Kindergeburtstag, hübsch bunt. Der Bub bekommt Wozzecks Löffel geschenkt, öffnet, plopp, seine erste Dose. Blackout. Wir arme Leut.

Christine Lemke-Matwey

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