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Kultur: Im Picus Verlag erscheinen Beschreibungen jenseits des Klischees - als Mittelding zwischen Reiseführer und Literatur

Reiseführer sind heikle Führer. Sie schicken Touristen auf ausgetrampelte Pfade und erheben darüber hinaus den Anspruch, objektiv zu sein.

Reiseführer sind heikle Führer. Sie schicken Touristen auf ausgetrampelte Pfade und erheben darüber hinaus den Anspruch, objektiv zu sein. Doch das Reisen ist immer eine subjektive Wahrnehmung. Schlimmer als diese falsche Anspruchshaltung sind die zahlreichen Stereotypen, die sie verbreiten. Afrika-Reiseführer sind voll davon. Da werden Kinder mit "Altersabsicherung für die Eltern" gleichgesetzt, ohne von der emotionalen Einstellung gegenüber Kindern zu sprechen. Da wird mehr über die kolonialistischen Heroen geschrieben, die den Mount Kenia bestiegen haben, als über die Kenianer selbst. Da werden Ratschläge erteilt, die zu paternalistischen Gesten oder gespielter Anpassung auffordern, damit Reisende erreichen, was sie wollen und im Übrigen ihre Ruhe haben. Aber auch Städtereiseführer nehmen sich nicht aus. In einem Werk über Amsterdam bezeichnet die Autorin die Bewohner eines Bezirks als "renitent und respektlos", weil es dort im vergangenen Jahrhundert einen Aufstand und in den 30er Jahren eine Demonstration gab. Das ist keine subjektive Wahrnehmung, sondern Unsinn und ungefähr so, als wenn man schreiben würde, alle Tempelhofer können fliegen.

Die Alternative zu Reiseführern, einen emotionalen, kulturellen und gesellschaftspolitischen Zugang zu einem Land zu finden, ist die Literatur. Aber nicht jeder hat die Zeit, große Werke zu wälzen. Eine Lücke zwischen Reiseführern und Literatur hat der Wiener Picus Verlag geschlossen. Seit einem Jahr erscheinen dort Reisefeuilletons und Reisereportagen von Autoren, die für "Geo", "Spiegel", die "FAZ", die "taz" oder die "Süddeutsche Zeitung" tätig sind. Inzwischen sind es mehr als 20 Bände. Zu den neueren gehören "Zu Fuß auf dem Jakobsweg" von René Freund sowie "Mit Ach und Krach nach Wladiwostok - Transsibirische Reise" von Andreas Wenderoth.

Einfühlsam und kenntnisreich geben die Journalisten Einblicke in den Alltag, die Kuriositäten und Absonderlichkeiten ihrer jeweiligen Ziele, schildern mit wachem Auge und bildreicher Sprache. Zum Beispiel die Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok. Andreas Wenderoth schreibt, dass sie bereits eine Woche vor dem Flug nach Moskau beginnt, und zwar bei der russischen Visa-Stelle: "In den vergilbten Amtsstuben sitzen dieselben Menschen, die schon vor Jahren mit abweisender Miene Stempel in Dokumente gedrückt haben und Geld dafür nahmen, dass man in ihrem Land Geld ausgibt. Sie machen schnell deutlich, dass nicht sie es sind, die ein Anliegen haben, und verstehen es, die Vorfreude auf ihr Land ins rechte Maß zu rücken. Eigentlich ist man nicht Gast hier, sondern eine Art Befehlsempfänger ..."

Wenderoths Porträt der "Transsibirischen Eisenbahn" wird zum Porträt des Landes. Die Geschichten im Zug und die Begegnungen mit den Menschen reihen sich wie Perlen zu einer Kette zusammen. Man sieht sie plötzlich vor sich, die beiden traurigen Gestalten, die morgens im Speisewagen Hühnersuppe und Wodka schlürfen, den Schamanen, der Menschen mit Schellen und rituellen Gebeten zu heilen versucht, und man hört das monotone Rattern der Räder. Der Zug steht als Metapher für die Gesellschaft Russlands, die stets zu entgleisen droht.

Nicht minder spannend erzählt René Freund von seiner Wanderung über den Jokobsweg. Freund hat die Eindrücke als persönliches Tagebuch aufgezeichnet, mit allen Höhen und Tiefen. Zwischen Frankreich und Santiago de Compostela liegen liebliche Gegenden, schroffe Landschaften und manchmal eine Weite, in der weder Dorf noch Brunnen zu sehen sind. Wind, Regen und Einsamkeit sind ständige Begleiter. Der Tagesrhythmus: "Gegen acht Uhr Frühstück. Zwischen acht und neun gehen wir los - meist sehr schnell, weil es kalt ist. Da reden wir auch ziemlich viel - zum Beispiel über die Schmerzen, die uns plagen, über die nächste Etappe..." Das ist angenehm subjektiv, klingt aber so strapaziös, dass man froh ist, nur als Leser mitzureisen. Aber die schönste Reise findet ohnehin im Kopf statt. Auf die nächsten Bände darf man sich schon freuen.René Freund: Bis ans Ende der Welt - Zu Fuß auf dem Jakobsweg, Picus Verlag, Wien 1999, 132 Seiten, 25,20 Mark.

Andreas Wenderoth: Mit Ach und Krach nach Wladiwostok - Transsibirische Reise, Picus Verlag, Wien 1999, 144 Seiten, 27,20 Mark. Im Picus Verlag gibt es auch Bände zu China, dem Vatikan, Los Angeles und Schottland.

Tomas Niederberghaus

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