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Kultur: Im Pulverdampf

Robin Ticciatis fulminanter „Figaro“ zur Eröffnung der Salzburger Festspiele

Wie fühlt sich ein 28-jähriger Dirigent, dem die Ehre widerfährt, mit Mozarts „Figaro“ die Salzburger Festspiele zu eröffnen? Wie im Traum oder im falschen Film? Vor der Wiederaufnahme von Claus Guths Inszenierung aus dem Jahr 2006 das Übliche: Die Nobelkarossen vor den Festspielhäusern, das teuer dekorierte nackte Fleisch, das Fotografengeschwerl, die Sponsorenempfänge. Markus Hinterhäuser, der Interims-Intendant nach Jürgen Flimm und vor Alexander Pereira bricht neuerdings Lanzen für das Festspielpublikum: Die Schickis und Bussis und Adabeis – alles nur blödes Klischee. Wer hierher kommt, ist offen und neugierig.

Bei Kartenpreisen bis 370 Euro mag man dem zwar nicht so ganz folgen, aber schließlich wird neben Verdis auch Salvatore Sciarrinos „Macbeth“ gespielt und neben einer Uraufführung von Peter Handke auch eine von Roland Schimmelpfennig, außerdem gibt es den „Fünften Kontinent“, Hinterhäusers Herzstück, mit innig programmierter Musik des 20. Jahrhunderts. Trotzdem ertappt man sich bei dem Gedanken, einen aufstrebenden Künstler wie Robin Ticciati vor dieser Art von Betrieb und Musikbetriebsamkeit am liebsten bewahren zu wollen. Ticciati aber, dieses fulminante Talent dreht den Spieß um: Die Menschen zahlen viel Geld, um Mozart in der Mozartstadt zu hören? Dann sollen sie wissen, dass das Schwere leicht sein muss und das Komödiantische eine tragische Seele hat, dann sollen sie erfahren, dass das Spiel auf historischen Instrumenten nichts mit Pult-Kamikaze zu tun hat, mit Stirnfalten und Handkantenschlägen. Und so geschieht es. Was für ein beschwingter, zärtlicher, melancholischer Abend! Als kreiste der junge Amor, den Guth und sein Bühnenbildner Christian Schmidt ins Geschehen einspeisen, auf flaumweichen Schwingen über dem Festspielbezirk.

Im Graben sitzen diesmal nicht – wie sonst – die Wiener Philharmoniker, sondern das Orchestra of the Age of Enlightenment. Es gehört zum Konzept 2011, die drei Da-Ponte-Opern von unterschiedlichen Ensembles und Dirigenten aufführen zu lassen. So richtig spritzig freilich wirken die Engländer nicht, in den Tutti herrscht oft ein rechtes Ungleichgewicht zwischen der Blässe der Streicher und dem Lärm des Blechs und der Pauke. Und was Ausdauer und Konzentration betrifft, könnte auch noch ein bisschen nachtrainiert werden.

Nun ist Robin Ticciati mehr Klangmaler als Baumeister, mehr Sanguiniker als Pedant. Die Rhetorik des meisterlichen Mozart interessiert ihn zwar und führt in der Ouvertüre zu mächtig Pulverdampf und überhaupt zu sehr prononcierten Nummern-Schlüssen, als würde das alte Hamsterrad des Begehrens und Betrügens immer wieder neu angeworfen. Die großen Momente aber sind andere. Wenn er Cherubinos „Non so più“ hechelnd ins pubertär Todessüchtige treibt (schade dass Katija Dragojevic dennoch einen so gesunden Eindruck hinterlässt); wenn aus dem Accompagnato-Rezitativ zu „Dove sono“ plötzlich alle Farben weichen und die Harmonien wie nackte Gebeine daliegen, Reste einer unerfüllten Existenz. Genia Kühmeier singt das grandios, mit irre flackerndem Leuchten im Sopran, voller Trauer, ihre Gräfin ist ein Ereignis. Simon Keenlyside als Graf wiederum macht kleine stimmliche Mängel mit einem hoch intelligenten, witzigen Spiel wett, und bei Marlis Petersens resoluter Susanna vergisst man wohltuend jeden Kammerkätzchenton.

Erwin Schrott hingegen, der Figaro, überzeugt mehr durch gute Laune als durch saubere Stilistik und rhythmische Präzision. Töne, die ihm liegen, bläht er gerne auf, anderes fällt bramarbasierend unter den Tisch, sein Bariton klingt rau. In der Pause aber posiert der Montevideaner zum Entzücken nicht nur der Fotografen mit Lebensgefährtin Anna Netrebko im Arm auf dem Balkon des Festspielhauses – im Nationaltrikot von Uruguay, wohlgemerkt. Ach, Salzburg. Christine Lemke-Matwey

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