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Kultur: Im Rausch

Andris Nelsons bei den Berliner Philharmonikern.

Herz, was willst du mehr? Ein Dirigent und ein Orchester, die sich verstehen, dazu ein Programm, das nicht nur auf dem Papier klug kombiniert aussieht, sondern sich dann auch im Saal organisch entwickelt, atmosphärisch dicht, als Feier der Klangfarbe. Andris Nelsons ist zu Gast bei den Berliner Philharmonikern, bereits zum fünften Mal, und der 33-jährige Lette beweist erneut, dass er das Potenzial hat, in der Geschichte des Orchesters noch eine wichtige Rolle zu spielen.

In ihrer herben Schönheit hilft die einleitende Passacaglia aus Benjamin Brittens „Peter Grimes“ dem Zuhörer, die noch im Kopf umherschwirrenden Alltagsgeräusche zu neutralisieren, sich ganz auf die Kunstmusik zu fokussieren. Auf Jörg Widmanns Violinkonzert zum Beispiel, 2007 uraufgeführt, das Christian Tetzlaff mit bewundernswürdiger innerer Anteilnahme spielt. Über den schwebenden Klangflächen des Orchesters, zirzensisch aufgeladen von Celesta, Harfe und Glockenspiel, erhebt sich die endlose Kantilene des Solisten. Auch wenn sie keine konventionellen Melodien formt, bleibt sie stets sanglich, in einem Espressivo, das selbst in den höchsten Höhen nie aggressiv wird.

Himmelsklänge, aus der Zeit gefallen, an die sich nahtlos Debussys 102 Jahre jüngere Wassermusik anschließt. Als scharfe Brise aus Nordost wirkt hier Nelsons Ganzkörpergestik, „La Mer“ beginnt zu schäumen, Welle folgt auf Welle, philharmonische Brillanz funkelt wie Gischt in der Sonne, bis hin zum gleißenden Fortissimo des rasant genommenen Finales. Ganz Genussmensch, verwirft der Dirigent auch in Ravels „La Valse“ die übliche linear angelegte Spannungskurve, wählt lieber den Weg über viele Höhepunkte, der, ganz zwanglos, berückend-beglückend, im kollektiven Rausch endet. Frederik Hanssen

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