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Kultur: Im Reich der Rauschenden

Tipps für den Böhmerwald

Die Männer in den orangefarbenen Westen mit dem Kürzel "CD" für Tschechische Bahnen auf dem Rücken schaufeln die Gleise von den Schneemassen frei. Lange, bevor es überhaupt zu sehen ist, kündigt sich das rote Bähnlein durch anhaltendes Hupen an. Es ist hier noch gut besetzt, Abfahrts-, Langläufer oder Snowboarder zuckeln langsam aber sicher hinauf. Zwei Skipisten und das Loipenareal sind das Ziel für einige Stunden, ein Wochenende oder einen ganzen Urlaub. Der kleine Erholungsort Kubova Hut (Kubohütten) war früher ein Glasmacherdorf und ist heute mit 995 Metern über dem Meer die höchstgelegene Bahnstation des Landes.

Was für ein Vergnügen, auf Brettern sanft durch die verschneite Landschaft zu gleiten! Weite Wälder, in denen vor allem stattliche Fichten stehen. Um den Schneemassen zu widerstehen, weisen die Nadelbäume auf den Hochflächen eine sehr schlanke Wuchsform auf, ähnlich wie in Nordskandinavien oder Kanada. Oft bläst der Wind hier pausenlos und fährt durch die Wipfel der Bäume. Nach diesem Naturphänomen benannten die Einheimischen ihr Zuhause sehr romantisch: Sumava, die Rauschende. Seit 1991 ist das Waldmeer als Nationalpark geschützt, zusammen mit dem Bayerischen Wald bildet der Böhmerwald die grüne Lunge Mitteleuropas. Der Urwald am Boubín (Kubany) wurde bereits im Jahre 1858 zum Schutzgebiet erklärt. Hier sind Buchen, Tannen und Fichten sich selbst überlassen, wachsen ganz so wie sie wollen. Manche schon seit 400 Jahren.

Heute behindern die immer dichter fallenden Flocken die Sicht erheblich. Der Wind pfeift gnadenlos. Die Mützen werden tiefer ins Gesicht gezogen, der Schal verhüllt Nase und Mund. Als wir die Gaststube der Pension in Filipova Hut betreten, sehen wir wohl eher wie Bankräuber aus. Doch alles was wir wollen, ist Tee mit Zitrone.

Kvilda (Außergefild) ist eines der bekanntesten Wintersportzentren auf der Böhmerwaldhochebene. Die neugotische St.-Stephans-Kirche ist auf der Wetterseite mit Holzschindeln warm eingepackt. "Acht Monate im Jahr gibt es Winter, und vier Monate bleibt es kalt", wissen die Alten zu berichten. Früher gab es soviel Schnee, dass die Toten nicht beerdigt werden konnten. Man legte sie unterm Dach auf ein Totenbrett und wartete mit der Bestattung bis zum Frühjahr. Heute bescheren Westwetterlagen dem Böhmerwald manchmal auch mitten im Winter Tauwetter. Ein leichter Temperaturanstieg verbunden mit Nassschnee bereitet dem Loipenvergnügen mitunter ein jähes Ende: Der Schnee klebt wie Kaugummi an den Brettern. Nur ein gut sortiertes Arsenal an Wachs- und Klistersorten kann dann helfen.

Im Gasthof Schwarzer Wolf (Cerny vlk) blieben zwei Böhmerwaldkarten aus sozialistischen Zeiten erhalten. Sie beweisen: In der damaligen CSSR war westlich der Orte Kvilda, Modrava und Srní die Welt zu Ende, nicht ein Wanderweg ist zu finden. Das einstige Niemandsland hat sich gewandelt. Dort gibt es keine militärischen Sperrgebiete und Zäune mehr, dafür grenzübergreifende Wanderwege und Loipen. Nur breite Schneisen in Grenznähe, von denen nun junge Fichten und Moorbirken Besitz ergreifen, weisen noch die einstigen Todeszonen aus. Nachmittags treffen sich in Kvilda beinah alle wie auf ein geheimes Zeichen in der Konditorei nahe der Kirche. Um in den Genuss der süßen Köstlichkeiten zu gelangen, reiht man sich willig in die Warteschlange ein. Der ganze Ort ist fest in der Hand von tschechischen Wintersportlern. "Versuchen sie es im acht Kilomter entfernten Modrava, dort gibt es noch freie Plätze", rät die Frau im Nationalpark-Informationszentrum.

Modrava (Mader) liegt mitten im Wald. Nur zwei Dutzend Häuser, von Massentourismus keine Spur. Ein Fachwerkensemble, malerische Solitärfichten, zerzauste Moorbirken und der wilde Maderbach (Modravsky potok) lassen den Ort auf Anhieb sympathisch erscheinen. Mittelpunkt war seit den 1920er Jahren die riesige Klostermannbaude, erbaut auf Initiative des Klubs tschechischer Touristen. Gegenwärtig geschlossen, blickt sie einem ungewissen Schicksal entgegen. Nachts fallen die Temperaturen bis minus 16 Grad Celsius. Und am Morgen ist es nicht viel wärmer. Damit die Äpfel für unterwegs nicht im Rucksack gefrieren, werden sie in die Ersatzfellhandschuhe gesteckt.

Knapp zehn Kilometer führt die Loipe von Modrava über den Schwarzen Berg zur Moldauquelle. Heute ist sie wieder ein Treffpunkt von Skiläufern aus allen Himmelsrichtungen. Die Quelle verbirgt sich unterm Schnee. Früher stand hier eine Touristenhütte, der Born war ein moderner Wallfahrtsort ähnlich der Elbequelle im Riesengebirge. Doch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war die junge Moldau plötzlich unzugänglich. Jetzt gehört die Mutter aller böhmischen Flüsse wieder zu den Besuchermagneten: ein Ort für eine zünftige Brotzeit.

Eine rasante Abfahrt führt zum Chinitz-Tettauer-Schwemmkanal. Erbaut 1799 bis 1800, wurde bis in die 1950er Jahre Holz geschwemmt. Viele schöne Gewölbebrücken aus Naturstein blieben erhalten. Rokyta besitzt ein Nationalpark-Infozentrum. Eine geologische Freilichtexposition ist wegen des Schnees nur in Bruchstücken zu besichtigen. Fotos dokumentieren den Reiz des Böhmerwaldes in der warmen Jahreszeit.

Die nahegelegene Wydra (Vydra) wird oft als schönster Wasserlauf des Böhmerwaldes gepriesen: Das Wasser tanzt eilig um das mit Felsblöcken übersäte Flussbett. An seinem Ufer steht die Turnerhütte. Das hölzerne Gebäude im traditionellen Baustil blieb sozialistische Bastion der Gastronomie. Trotz großen Andrangs wird der zweite Saal nicht geöffnet. Das lustlos dreinschauende Personal hat am Umsatz kein Interesse. Viele Besucher kehren enttäuscht um.

Ein Stück weiter unterhalb, in Cenkova Pila (Winzenzsäge), mündet die Wydra in die Wottawa. Sprudelnd und wild gebärdet sich ihr Wasser. Kein Wunder, dass diese Landschaft auch Smetana gefiel. Hier wurde er zu seiner Komposition "Die Moldau" angeregt. Sein Freund Anger schrieb: "Dort entstand die Idee ..., dort wurde sie geboren. Er lauschte dem lieblichen poetischen Gesang des sich vereinenden Wassers ... lange saß er dort in Verzückung".

Tipps für den Böhmerwald

Anreise: Mit dem Pkw auf der A 9 bis Nürnberg, weiter auf der A 3 über Regensburg bis zur Ausfahrt Passau-Nord. Dann auf die B 12 Richtung Freyung, in Silnice über die Grenze und auf der Landstraße 4 bis Kubova Hut.

Veranstalter: Geführte Skiwanderungen bietet der Veranstalter "Begegnung mit Böhmen", Dachbettenerstraße 47"b, 93049 Regensburg; Telefonnummer: 09 41 / 260 80, Telefaxnummer: 09 41 / 260 81, E-Mail-Adresse: boehmen-reisen@t-online.de , Internet: www.boehmen-reisen.de

Auskunft: Nationalparkinformation in Kvilda, Telefon- und Telefaxnummer: 00 42 / 339 / 43 55 44.

Touristeninformation Susice, nám. Svobody 138; Telefon: 00 42 / 187 / 52 05 37, Fax: 00 42 / 187 / 52 05 38, die E-Mail-Adresse lautet: is.susice@worldonline .

Touristeninformation Zelezná Ruda, Javorska ul. 154; Telefon- und Telefaxnummer: 00 42 / 186 / 69 70 33, E-Mail: itcruda@sumava.net

Auskunft im Internet: unter www.holidayinfo.cz kann man mittels verschiedener Panoramakameras auf den Böhmerwald und andere tschechische Gebirge schauen, deutschsprachige Informationen zu allen Touristenzentren

www.SumavaNet.cz bietet Auskunft zum öffentliche Personennahverkehr im Nationalpark Sumava, zu Skilifts und Preisen, Herbergen, Wetter; auch in Deutsch.

Andre Micklitza

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