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Kultur: Im reißenden Fluss

Warum sich Messen, Biennalen und Galerieausstellungen einander immer mehr annähern

Zur Eröffnung der 4. Berlin-Biennale legen sich die ansässigen Galerien an diesem Wochenende einmal mehr ins Zeug: Da zeigt Eigen & Art die lang erwartete erste Berliner Einzelausstellung des Markt-Überfliegers Matthias Weischer, und neugerriemschneider lässt für Olafur Eliasson sechs Tonnen Gletschereis von Island nach Berlin transportieren. Obwohl die Zahl der Galerien für den traditionellen Rundgang rund um die Auguststraße für den heutigen Sonnabend (17 bis 21 Uhr) auf 24 geschrumpft ist, haben auch viele andere Galerien – nicht nur in Berlin-Mitte – bis in die Nacht hinein geöffnet, viele sogar noch am Sonntag. Das internationale Kunstpublikum ist in der Stadt, die Galerien bereiten ihm einen würdigen Empfang.

Das ist mehr als eine freundliche Geste: Längst ist mancher Sammler angesichts des Überangebots messemüde geworden und besucht lieber eine sorgsam eingerichtete Galerieausstellung als überbordende Verkaufskojen. Die Messen wiederum reagieren mit immer umfangreicherem Begleitprogramm und können so qualitativ einige Biennalen übertrumpfen. In manchen Jahren drängt sich sogar der Eindruck auf, die Künstler hätten die besten Stücke lieber zur Art Basel als nach Venedig gegeben.

Noch Ende der Neunzigerjahre schienen zwei Paralleluniversen nebeneinander zu existieren: hier die hehre Welt der Kunst mit ihren quer über den Globus verstreuten Biennalen, mit experimentierfreudigen Kunstvereinen und weihevollen Museen, dort der schnöde Markt mit seinen international vernetzten Auktionshäusern und den prosperierenden Kunstmessen. Helden gab es auf beiden Seiten, die Schnittmenge war klein. Die Trennung von Kunst und Markt ist jedoch nur ein Teil der Geschichte, denn Produktion und Distribution haben sich seit jeher gegenseitig beeinflusst. Als sich der Kunstbegriff in den Sechzigerjahren erweiterte, wechselten die Galerien von eleganten Ladengeschäften in weitläufige Lofts, die Künstler ließen sich ihrerseits von den neuen räumlichen Bedingungen inspirieren. Neue Kunstformen generierten neue Galeriemodelle.

Heute können Künstler enorme Marktpreise erzielen, ohne je auf einer Biennale oder in einem Kunstverein ausgestellt zu haben. Umgekehrt funktioniert das dagegen nicht mehr: Schon der Blick auf die Teilnehmerliste der 4. Berlin-Biennale verdeutlicht, dass so gut wie jeder Künstler von einer international agierenden Galerie vertreten ist. Die alten Wege der Nobilitierung – Galerie, Kunstverein, Museum – sind obsolet geworden. Zu dieser Erkenntnis kam man auch bei einer Diskussion der Kölner European Kunsthalle, in der letzte Woche unter dem Titel „Ausstellungskünstler vs. Marktkünstler“ der Frage nachgegangen wurde, inwieweit Kunstmarkt und Institutionen auseinander driften. Schlimm ist das nicht, denn alte Feindbilder sind ersetzt worden durch gut funktionierende Netzwerke von Kuratoren, Galeristen und Sammlern, von denen jeder Teilnehmer profitiert.

Selbst Kunst, die sich vordergründig einer Vermarktung zu entziehen versucht, wird positiv vereinnahmt. Von einem Künstler wie Tino Sehgal, der auf der Berlin-Biennale ein Liebespaar am Boden kugeln lässt, können Sammler Lizenzverträge erwerben. Und der Berliner Künstler Florian Slotawa hat den Spieß einfach umgedreht. Am Anfang seiner Karriere stapelte er Skulpturen aus seinem eigenen Besitz. 2001 erwarb der Sammler Axel Haubrok diesen komplett. Im Herzen der Berlin-Biennale steht trotzdem ein fein ausbalancierter Möbelturm von Slotawa. Es ist das private Mobiliar seines Sammlers.

Katrin Wittneven

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