zum Hauptinhalt

Kultur: Im Saal tanzen Trolle und Elfen

An diesem Sonntag zeigen die Musiker der Deutsch-Skandinavischen Jugend-Philharmonie, was sie können. Ein Probenbesuch.

Wolfsknurren, Hexengesänge, Wasserrauschen aus großen Zinkwannen – all das und noch mehr erklingt in „Karelia Joik“. Die neue Komposition ist das Herzstück der 37. Orchester-Woche der Deutsch-Skandinavischen Jugend-Philharmonie (DSJP), deren Höhepunkt das Abschlusskonzert am 6. Januar sein wird. Seit Ende Dezember proben die rund 90 jungen Musikerinnen und Musiker aus 15 Nationen nicht nur diese Hommage an die finnische Region Karelien, sondern auch Jean Sibelius’ Karelia-Ouvertüre und Strawinskys „Der Feuervogel“. Neben vielen Norwegern und Schweden sind auch 17 Finnen unter den 16- bis 25-jährigen Musikern, das Repertoire konzentriert sich entsprechend auf norwegische, schwedische, finnische, dänische und isländische Klassik.

„Karelia Joik“ ist eigens für die Orchesterwoche geschrieben – von der finnischen Volkssängerin und Musikwissenschaftlerin Karoliina Kantelinen gemeinsam mit Andreas Peer Kähler, Gründer und Leiter der DSJP. Die Aufführung wird noch in anderer Hinsicht eine Premiere: Erstmals verwendet das Jugendorchester das finnische Nationalinstrument, die Kantele, ein Zither-ähnliches Instrument. „Es könnte sogar sein, dass zum ersten Mal eine Kantele in der Berliner Philharmonie erklingt“, so Kähler.

Der Dirigent hat die Jugendphilharmonie 1981 gegründet, seit 1984 fanden fast alle Konzerte in der Berliner Philharmonie statt. „Es begann alles in einer mäßig beheizten Schulaula“, erinnert er sich. Seitdem ist das Jugendorchester eine Erfolgsgeschichte, die sich international herumgesprochen hat. „Zwei meiner Mitmusiker waren letztes Jahr dabei und hatten davon erzählt“, sagt die 18-jährige Finnin Johanna Toivanen, Mitglied des Vivo Sinfoniaorkesteri, das vergleichbar mit dem Bundesjugendorchester ist. „Da habe ich mich beworben.“ Rund 150 Musiker hatten sich dieses Mal um die Teilnahme bemüht. Sie kostet zwischen 250 und 350 Euro, denn die Orchesterwoche schließt auch die Betreuung durch ein neunköpfiges Dozententeam mit ein.

Toivanen stammt aus der Küstenstadt Turku. Sie ist nicht das erste Mal in Deutschland, ihre Mutter wurde hier geboren. Bisher hat sie allerdings nur Verwandte besucht: „Zum Musikmachen bin ich das erste Mal hier.“ Seit ihrem sechsten Lebensjahr spielte Toivanen Klavier, „aber damit kann man nicht im Orchester auftreten“, meint sie. Also begann sie mit Schlagwerk. Bei „Karelia Joik“ hat sie gut zu tun, denn das Stück, das finnische Volksmusik-Traditionen wie den schamanenhaften Joik-Gesang oder das Kantele-Spiel mit dem Klang eines Sinfonieorchesters verbindet, ist von vielen Spezialeffekten geprägt, meint die Harfenistin Luiza Mattoso: „Zum Beispiel die ‚bellenden Schlagzeuger’!“ Die 18-Jährige aus Sindelfingen ist schon das zweite Mal dabei und hat zuvor unter anderem im Landesjugendorchester gespielt. Als sie in einem Kreisjugendorchester aushalf, lernte sie Andreas Peer Kähler kennen und wurde auf das Projekt aufmerksam. „Ich wollte schon immer ein internationales Orchester kennenlernen und in der Philharmonie spielen“, sagt sie. „Und das Programm war ziemlich interessant.“ Auch das aktuelle Auftragswerk findet sie spannend: „Der Gesang in ‚Karelia Joik’ ist wirklich etwas Neues. Das Publikum wird sich freuen, mal so was zu hören.“ Toivanen stimmt zu: „So etwas wie den ‚Rainmaker’ spielt man als Schlagzeugerin nicht jeden Tag. Ich finde es mutig, das mal in die Philharmonie zu bringen.“ Insgesamt wirkt das ganze Stück sehr figürlich und fantasieanregend, Bilder von Trollen und Elfen, die durch pastorale Klanglandschaften tanzen, tauchen schnell vor dem inneren Auge auf. Die Musik ist zwar anspruchsvoll, aber Kähler betont: „Ich bin Dirigent und Komponist zugleich, das macht mich zum Praktiker. Deshalb komponiere ich nichts, was kein Mensch spielen kann.“

Die Idee zur Zusammenarbeit mit Karoliina Kantelinen kam Kähler nach einem Konzert 2011 in der Passionskirche. „Ich habe sie sofort im Geiste mit unserem Orchester gesehen.“ Es ist nicht die erste Gemeinschaftskomposition beim DSJP, 2000 hatte Kähler erstmals zusammen mit dem Norweger Ragnar Heyerdahl komponiert. „Karelia Joik“ wird schon vor dem Abschlusskonzert uraufgeführt, nämlich bei einem Familienkonzert für Kinder um 11 Uhr im Kammermusiksaal.

Johanna Toivanen ist bei der Arbeit mit den Dozenten der Jugendphilharmonie aufgefallen, wie unterschiedlich deutsche und finnische Musiklehrer an die Sache rangehen. „Bei der Stimmprobe hat unser Dozent sehr viele Adjektive benutzt und uns darauf aufmerksam gemacht, wie etwas klingt. In Finnland ist mir das so noch nicht begegnet, da ist man mehr auf das Technische bedacht.“ Obwohl sie erst einige Tage dabei ist, steht für Toivanen bereits fest, dass sie nächstes Jahr wieder mit dabei sein möchte. Wegen ihrer deutschen Wurzeln überlegt sie sogar, in Deutschland Schlagwerk zu studieren. Erik Wenk

Philharmonie, 6.1., 16 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false