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Kultur: Im Schatten des Mondes

Die melancholische Diva: Françoise Hardy rettet mit ihrem neuen Album das Chanson

Die Liebe: eine Schlacht. Leopold, ein Geschäftsmann im gesetzten Alter, verführt den zwanzigjährigen Franz, schläft aber auch mit dessen Freundin. Am Ende kreuzt auch noch Vera auf, eine Transsexuelle am Rande des Nervenzusammenbruchs. Das Drama spielt sich vor großmusterigen Siebzigerjahre-Tapeten ab, die Protagonisten tragen schrille Synthetikanzüge. „Tropfen auf heiße Steine“, der Film, den François Ozon 1999 nach einem Fassbinder-Stück drehte, zeigt, wie fatal es ist, wenn Menschen sich in ihren Gefühlen verstricken. Zwischendurch sinken die Kombattanten in erschöpfte Lethargie, ein Lied erklingt: „Träume, die bei Nacht entstehen/ Und am Tag vergehen/ Sind meistens gar nicht wahr/ Weil sie unter den Millionen/ Unserer Illusionen geboren sind.“

„Schlecht, schlecht, schlecht“, sagt Françoise Hardy. Sie mag beides nicht: das Lied, das sie vor fünfunddreißig Jahren auf Deutsch gesungen hat, und den Film, in dem es vorkommt. „Ich liebe opulentes Kino, Filme mit virtuoser Kameraführung und präzisen Dialogen wie ,The Insider’ von Michael Mann. Dagegen ist Ozon sehr kleines Kino.“ Die Diva sitzt in einem Konferenzraum des Hamburger Hotels „Reichshof“, vor sich eine Kanne Tee. Sie war 1962 mit ihrer Gitarre als Pausenfüller zwischen Wahlkampfreden im französischen Fernsehen aufgetreten. „Tous les garçons et les filles“, ein trauriges Chanson über die Liebe, die immer nur die anderen glücklich macht, katapultierte die 18-Jährige über Nacht zum Star. Hardy hatte langes, strähniges Haar und große illusionslose Augen, mit ihrer mageren Androgynität verkörperte sie das Gegenmodell zur üppigen Erotik einer Brigitte Bardot. Von ihren Fans wurde sie „Spargel“ genannt.

Schlank ist sie noch immer, sehr schlank. Die einst kastanienbraunen Haare sind inzwischen schlohweiß, aber ihre 61 Jahre sieht man der Sängerin nicht an. „Tant de belles choses“ (Virgin/Emi) heißt ihre gerade erschienene neue CD, die in Frankreich bereits als Meisterwerk gefeiert wird. Ihre Stimme hat sich kaum verändert, sie klingt nur ganz wenig aufgeraut, mädchenhaft seufzend singt sich Hardy durch Stücke, die von einer Liebe erzählen, die „im Schatten des Mondes“ verschwendet wurde („À l’ombre de la lune“), vom sinnlosen Vergehen der Zeit („Moments“) oder von der Sprachlosigkeit eines ehemaligen Paares („Soir de gala“).

Die „schönen Dinge“, die sie beschwört, spenden keinen Trost, auch wenn im Titelsong versichert wird: „Du wirst am Ende des Tunnels einen Regenbogen sehen.“ Ein sanfter Weltschmerz liegt über dem Album, Hardys erster Veröffentlichung nach vier Jahren. Zum fragilen Gesang passt die sparsame Begleitung: sphärische Syntheziser-Arrangements, Barjazz mit Bass und Akustikgitarre, verhalten tröpfelnde Klavierakkorde, ein paar Streicher, nur gelegentlich heult eine E-Gitarre auf.

Françoise Hardy ist eine bekennende Melancholikerin. Sie kokettiert nicht mit ihrer Traurigkeit, es ist das sehr französische Lebensgefühl einer Tristesse, die bereits im jugendlichen Überschwang die eigene Vergänglichkeit spürt. „Das Leben geht zu schnell vorüber“, sagt sie. „Deshalb ist die Melancholie die Essenz des Lebens.“ Schon mit 20 hat sie „Die Jugend verschwindet“ und „Es gibt keine glückliche Liebe“ gesungen, das klang altklug, war aber aufrichtig gemeint. An diesem Eindruck einer Verlorenheit habe sich bis heute nichts geändert, erklärt sie und zitiert ein Gedicht von Aragon: „Wenn man beginnt, das Leben zu lernen, ist es schon zu spät.“

Nach ihren Erfolgen der Sechziger- jahre war Hardy zwischenzeitlich in der Versenkung verschwunden. Mitte der Neunzigerjahre schaffte sie ein triumphales Comeback, Blur gingen mit ihr ins Studio, Iggy Pop lud sie zu einem Duett ein. Ihren Ruhm spielt sie herunter. Blur-Sänger Damon Albarn sei einfach ein „reizender junger Mann“, Iggy Pop habe eigentlich ein Stück mit Marianne Faithful aufnehmen wollen, „und weil sie nicht da war, fragte er mich.“ Für „Tant de belles choses“ hat Benjamin Biolay einen Song beigesteuert, der Shooting Star der französischen Chansonszene. Bei vier Titeln spielt Thomas Dutronc Gitarre, Hardys 31 Jahre alter Sohn. „Die Plattenfirma war nach dem ersten Demo ganz begeistert von ihm. Thomas hat noch nicht viel Erfahrung, es war ein Risiko, mit ihm zu arbeiten.“ Als die Mutter zur Kritik ausholen will, klingelt ihr Mobiltelefon. Am Apparat ist Jacques Dutronc, der Sänger und Schauspieler, mit dem sie seit 1981 verheiratet ist.

Hardy gehörte zur „Yé Yé“-Welle, mit der im Paris der Sechzigerjahre der Beat aus England und Amerika frankophonisiert wurde. Sie denke nicht oft zurück, aber wenn sie, wie jüngst bei der Aufzeichnung eines biografischen Specials fürs französische Fernsehen, mit Bildern von damals konfrontiert werde, sei das die „Erinnerung an eine schöne Zeit“. Mick Jagger begegnete sie bei einem Konzert der Rolling Stones, ohne die Band vorher gekannt zu haben. „Als er die Bühne betrat, war ich sofort sein Fan, er hatte die Schönheit des Teufels.“ Jagger erklärte andersrum, von Hardy fasziniert zu sein, ebenso wie Bob Dylan, der ein Treffen mit ihr zur Bedingung eines Auftritts im Pariser „Olympia“ machte. Hardy wurde zur allseits angehimmelten Stil-Ikone, als Modell zeigte sie sich in einem 16 Kilo schweren Metallkleid des Modemachers Paco Rabanne.

In Deutschland schaffte die Sängerin mit der ARD-Sendung „Portrait In Musik“ den Durchbruch, bei der sie der spätere Hitparaden-Erfinder Truck Branss 1965 durch avantgardistische Schwarzweiß-Dekorationen laufen ließ. Für die Sendung musste sie deutsche Versionen ihrer französischen Erfolge aufnehmen, ein Wunsch der Plattenfirma, dem die ehemalige Germanistik-Studentin der Pariser Sorbonne nur widerwillig folgte. „Diese Schlager waren nicht alle schlecht, aber einige waren geradezu fürchterlich“, schimpft sie heute. Dabei haben ihre deutschen Lieder durchaus Charme, verhandelt werden darin die Dramen des spätpubertären Daseins: „Frag den Abendwind, wo das Glück beginnt/ Aber frage nicht, woran es manchmal zerbricht“, heißt es in einem ihrer größten Hits. Und zum Kreischen einer Beatgitarre ist sogar Euphorie zu spüren: „Wenn der rote Mond für dich im November glüht/ Wenn durch graue Wolken man goldene Sterne sieht/ Wenn das Glück dir mit dem Lächeln auch die Tränen gibt/ Dann bist du, ja glaub mir, dann bist du verliebt.“

Die größte Leidenschaft von Françoise Hardy ist die Astrologie. „Les rythmes du zodiaque“ heißt das Buch, an dem sie drei Jahre arbeitete. In die Zukunft schauen kann sie nicht. Der Blick in die Sterne ist ihr Mittel zur Selbsterkenntnis.

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