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Kultur: Im Schattentheater

Lange schon gab es nicht mehr eine so schöne Einladungskarte: ein Scherenschnitt, schwarz auf weißem Grund. Bäume werden angedeutet, zwei Frauengestalten sind zu erkennen.

Lange schon gab es nicht mehr eine so schöne Einladungskarte: ein Scherenschnitt, schwarz auf weißem Grund. Bäume werden angedeutet, zwei Frauengestalten sind zu erkennen. Eine historische Szene von Freundinnen beim Sonntagsausflug? So bleibt die Klappkarte dekorativ auf dem Frühstückstisch stehen. Doch wer die Arbeiten der amerikanischen Künstlerin kennt, riskiert noch einen zweiten Blick: Passend zum Genre des Scherenschnitts, der seinen Blütezeit im 19. Jahrhundert hatte, ist das Kleid der einen Frau im viktorianischen Stil gehalten. Die zweite Frau ist schwarz, das zeigt ihr Profil. Sie reicht der anderen die Hand zum Kuss, während sie mit einem Bein im Baum hängt und - eine dritte Figur lüstern unter ihrem Rock verschwindet ... Und auch das schwarze Ornament, dass auf Plakaten und Zeitungsanzeigen ansprechend für die aktuelle Ausstellung im Deutschen-Guggenheim-Museum wirbt, entpuppt sich bei genauem Blick als stürzender Mensch, dem eine Kugel ein Loch in die Brust gefetzt hat.

Diese verborgenen Geschichten von Macht und Unterwerfung, Lust und Gewalt erzählen alle Arbeiten der afro-amerikanischen Künstlerin Kara Walker: Die Scherenschnitte, die zu raumfüllenden Installationen werden können und deren Inhalt im drastischen Widerspruch zu der traditionellen Form stehen, ebenso wie ihre Zeichnungen, Tuschen und Siebdrucke auf Papier, die in ihrer Berliner Ausstellung dominieren. Indem Walker mit dem Bleistift eine winzige fliehende Frau hinzufügt, erwächst aus einem Tintenklecks eine Landschaft.

Auf dem nächsten Bild ergänzt sie die Umrisse zu zwei Gesichtern, einem schwarzen und einem weißen, die sich fast berühren. Nie durchdringt man diese Bildergeschichten bis ins letzte Detail, aber die Stereotypen lassen für den Betrachter dennoch keine bequemen Ausflüchte offen. Zu drastisch ist Walkers Formensprache: Da ist der schwarze Sklaventreiber in Herrenkleidung, aus dessen Tasche noch ein paar Babys gucken. Oder da ist ist der Weiße, der auf einer hockenden Person Platz genommen hat und der den Kopf einer vor ihm knienden Schwarzen unmissverständlich zu seiner Hosenöffnung führt.

Kara Walker benennt ihr Thema deutlich: "Vor etwa acht Jahren machte ich den ersten Versuch, aufzudecken, wie Rassismus, rassistische und sexistische Stereotypen auf oft subtile und unerfreuliche Weise unser tägliches Leben beeinflussen". Inspiration findet sie in fiktiven und historischen Romanen oder den Sklavenerzählungen, die in der Zeit des Bürgerkriegs florierten - wie auch der Scherenschnitt als Beschäftigung der feinen Damen in den Südstaaten seine Hochzeit erlebte. Anders als die Ölmalerei und ihrer "weißen" Kunstgeschichte, eröffnete diese Tradition der 1969 geborenen Künstlerin ein mit ihrer Biografie verwobenes Arbeitsfeld.

Als Kind zog sie mit ihrer Familie vom lockeren Mittelschichtsmillieu Kaliforniens in den Süden der USA, wo sie mit offenem Rassismus ebenso wie mit wohlmeinenden Vorurteilen konfrontiert wurde. Und auch im Kunstbetrieb, wo die Künstlerin seit ihrer ersten Ausstellung 1994 in einer New Yorker Galerie als Shooting Star gefeiert wird, erfüllt sie als schwarze Frau auch heute noch gleich zwei Kriterien, um zu einer Minderheit zu gehören. In der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität zieht die Künstlerin immer den ironischen Vergleich zu Josephine Baker, "deren Erfolge in Europa in erster Linie auf ihrem negroiden Wesen beruhte", so Walker. "Sie entsprach dem Ideal des Exotischen auf perfekte Weise und setzte dies entsprechend ein."

Bei aller bewusst eingesetzten Plakativität Walkers, treffen ihre Werke immer einen Nerv. Wie Traumbilder eines kollektiven Albtraums erscheinen die frei schwebenden Figuren, deren Täter-Opfer-Verhältnis die Künstlerin immer wieder auch umkehrt. Schmerzhafte Details, die bei den schwarzweißen Scherenschnitten oft der Fantasie überlassen werden, offenbaren in der Ausstellung die großformatigen braunen Tuschen, die an überdimensionale Buchillustrationen von Groschenheften erinnern: Mit Zähnen werden hier Brustwarzen langgezogen, ein Revolver ragt einer Frau aus der Vagina - der Lauf ist ins Auge eines Mannes gerichtet. So unpassend wirken diese Details im gehobenen Ambiente des Deutschen Guggenheims Berlin am Eröffnungsabend, an dem die von der Deutschen Bank angekauften Werkgruppen gefeiert wurden, dass man mit Blick auf die symphatisch lächelnde Künstlerin nur vermuten kann: Dieser Widerspruch ist blanke Absicht .

Katrin Wittneven

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