zum Hauptinhalt

Kultur: Im Schlachthaus der Fantasie

Das Global-Phänomen: Diese Woche kommt mit Mel Gibsons „Passion Christi“ ein Film ins Kino, der auf Sadismus und Antisemitismus gründet

In neun Ländern, überwiegend den angelsächsischen, läuft der Film bereits seit Ende Februar. Bis Ostern werden 25 weitere folgen: Europa einschließlich Russland, die großen Länder Südamerikas, Südkorea und die Philippinen. Mit anderen Worten: fast alle wichtigen Filmmärkte der Erde. Es ist ein beklemmendes Gefühl, Zehntausende von Kinos dieser Welt binnen weniger Wochen in Bethäuser verwandelt zu sehen, in denen ein Regisseur sich unter dem Vorwand, die letzten Stunden Jesu Christi zu erzählen, als Sadist und Antisemit outet. Und es ist besonders beklemmend, dies ab Donnerstag auch hier zu erleben – in einem Land, in dem der Antisemitismus vor ein paar Jahrzehnten faktisch Staatsreligion war und mit beispiellosem Sadismus durchgesetzt wurde. Denn auch in Deutschland werden, Folge des weltweiten Medienbebens um diesen Film, Hunderttausende, vielleicht Millionen, „Die Passion Christi“ des Mel Gibson nicht versäumen: eine rohe, fundamentalistische Vision, die das Bewusstsein der Christen weitweit so militarisieren will, wie der Islamismus derzeit den Islam aushöhlt – mit den Mitteln des Global-Village-Massenmediums Kino.

Richtig, es ist nur ein Film, und das beruhigt. Mobilisieren dürfte dieser sehr eigentümliche Gottesdienst Gibsons – so zeigen es die drei ersten Wochen „The Passion of the Christ“ in Amerika – wohl vor allem die, die heute schon militant sind und es etwa mit Begeisterung aufnehmen, dass der Heilige Geist persönlich Gibson beim Drehbuchschreiben die Hand geführt haben soll. Auch die Hoffnung, dass durch die Machart des Films weitaus mehr Menschen abgestoßen werden als fasziniert (und dass sich diese Erfahrung schnell herumspricht), tut das ihre. Zudem war seine Entstehungsgeschichte, sein brutalitätssüchtiger und antisemitischer Humus, ein seit Monaten immer wieder berauntes Thema – und muss doch gezielt bewusst werden, will man diesen rätselhaftesten und beunruhigendsten Filmerfolg seit Menschengedenken verstehen. „Die Passion Christi“ ist in der geradezu fanatischen Konzentration auf die körperliche Gewalt, die Jesus angetan wird, ein wahrer Schlachtfetzen der Kinogeschichte – und Schuld an dieser Gewalt haben hier, viel deutlicher als in allen vier Evangelien, auf die Gibson sich ausdrücklich beruft, allein die Juden.

Baden in Strömen von Blut

In rund zwei Dritteln der über 40 Filme, die der heute 48-Jährige gedreht hat, als Schauspieler (etwa in den Serien „Mad Max“ und „Lethal Weapon“), als Regisseur („Braveheart“) oder als Produzent („Payback“), agiert Gibson selbst als Opfer oder Rächer und badet – sich und andere – in Strömen von Blut. Eine Obsession, die sich offenbar in der „Passion Christi“ erfüllen sollte und nun kaum mehr übertroffen werden kann. Eine Obsession, die die Gedankenwelt Gibsons auch in anderen Zusammenhängen beherrscht. Als der jüdische Kolumnist der „New York Times“, Frank Rich, vor ein paar Monaten den Ausschluss von Juden von den Exklusiv-Previews des Films kritisierte, tobte Gibson öffentlich: „Ich will ihn umbringen. Ich will seine Eier auf einem Stock aufspießen. Ich will seinen Hund töten.“ Um eine Entschuldigung gebeten, sagte er später, dem Hund wolle er nichts zuleide tun.

Rich hatte allerdings auch die Rolle von Gibsons Vater – der 85-jährige Hutton Gibson ist ein fundamentalistischer Katholik und eifernder Publizist, der den Papst schon mal als „Koranküsser-Karol“ bezeichnet – kritisch beleuchtet und überhaupt das Augenmerk auf die religiösen Familienstrukturen des Regisseurs gelenkt. Und da sieht Gibson rot. Wie sein Vater, ein Leugner des Massenmords an den Juden, gehört Gibson der Sekte der katholischen Traditionalisten an, die in Amerika rund 100000 Mitglieder hat. Die Gottesdienste, zu denen Frauen mit Kopftuch erscheinen müssen, werden in lateinischer Sprache abgehalten – gegen die Empfehlungen des Vatikanischen Konzils von 1965, das auch die Aussöhnung mit den Juden beschloss: Die These von der Kollektivschuld der Juden am Tod Christi wurde aus dem Katechismus gestrichen.

Diese Reform des Vatikan, 20 Jahre nach Hitlers Ende spät genug, ist für die Traditionalisten nur Teufelswerk – und so verwundert es nicht, dass auch Gibson und sein ebenso fundamentalistisch katholischer Jesus-Darsteller Jim Caviezel den Holocaust vielleicht nicht mehr stracks leugnen, wohl aber relativieren. Im Zweiten Weltkrieg seien „zehn Millionen Menschen“ umgekommen, darunter auch „einige Juden“, gab Gibson in einem Interview auf ausdrückliche Nachfrage nach der Existenz des Holocaust zu Protokoll. Caviezel sekundierte in anderem Zusammenhang, Antisemitismus sei zwar eine „Sünde“, es gebe aber auch „Gruppen, die das benutzen, um damit eine Menge Geld zu machen“. Womit er gewisslich nicht sein Projekt mit Gibson meinte.

Antisemitismus light? Wie wenig light dieser Antisemitismus ist, mögen die Macher des Films sprachlich verschleiern. Das Ergebnis aber zeigt es deutlich. Nicht nur wird Pontius Pilatus (Hristo Shopov) – historisch ein Terror-Herrscher über Palästina, der in den Evangelien nur zwecks baldiger Christianisierung der Römer besser wegkommt – bei Gibson geradezu zur humanen und intelligenten Lichtgestalt gegenüber dem Hohenpriester Kaiphas (Mattia Sbraglia), einem schmutzig gekleideten, fusselbärtigen Juden mit schlechten Zähnen. Nicht nur schleicht Satan (Rosalinda Celentano), ein androgynes Wesen mit Männerstimme, in zwei seiner vier Auftritte in Zeitlupe durch die Reihen der Juden Jerusalems, als seien sie sein Volk. Auch der rasende Sadismus der römischen Schergen, von der knapp zehn Minuten langen, in der Wahl der Peitschen immer grausameren Geißelung Jesu bis zum ebenso anhaltend visuell und akustisch ausgekosteten Annageln des zum Blutklumpen degenerierten Körpers am Kreuz, verweist immer auf die Verantwortung der Juden, deren Wunsch sich in der Kreuzigung erfüllt.

In den Evangelien wird diese Gewalt nur sehr knapp benannt. Vielleicht auch deshalb hat Gibson mit „Das schmerzhafte Leiden unseres Herrn Jesus Christus“ eine weitere Quelle zu Rate gezogen: die gesammelten Visionen der antisemitischen Mystikerin Anna Katharina Emmerich (1774-1824). Sie erlebten nicht zufällig im Deutschland Hitlers ein publizistisches Comeback.

Die Fixierung auf die Gewalt führt auch dazu, dass den Zuschauer alsbald nur mehr ein allgemeines Grausen, nicht jedoch wirkliches Mitgefühl erfasst. In seinem sadistischen Furor, der nach wenigen Minuten durchbricht und fast pausenlos bis zum Ende anhält, hat der Gottlosigkeitsaustreiber Gibson fast alles ausgelassen, was Nähe zu seiner gepeinigten Kreatur herstellen könnte. Dass dieser Christus in den Evangelien als begnadeter Prediger, als faszinierender Wundertäter, als packender Gleichniserzähler erscheint, als einer vor allem, dem das bevorstehende eigene Opfer zum Ziel der Erlösung der Menschen stets bewusst ist: Der Film interessiert sich dafür nicht einmal in seinen dünnen Rückblenden – und wenn er es denn täte, könnten die Figuranten, die Gibson da anstelle von Schauspielern verpflichtet hat, es nicht begreiflich machen.

Pornografie und „snuff-movie“

Die fast völlige Tilgung der Vorgeschichte und einer individualisierenden Struktur zugunsten des einzigen Schlüsselreizes Gewalt ist tatsächlich, wie erste Kritiker des Films schrieben, strukturell pornografisch. Mehr noch: Weil sich hier der Sadismus zum Zweck der Herstellung eines Films fast ausschließlich an einem zu Tode zu bringenden Körper austobt, erinnert „Die Passion Christi“ an das schauerlegendenumwobene Sonder-Genre der snuff movies: Diese sind – als Dokumentar-Trophäe perverser Sammler – zwar in der Realität nie aufgetaucht, entzünden aber immer wieder nicht nur Hollywoods Drehbuchfantasien. So kommt es zu dem paradoxen Befund, dass Gibson seine Zuschauer zum kathartischen Mitleiden mit dem barmherzigen, guten Christus einzuladen scheint, aber nach 126 brutalstmöglichen Minuten rigoros auseinandertreibt.

Noch etwas verbindet „Die Passion Christi“ mit der pornografischen Ästhetik: die Monotonie, die diesen Film konstituiert und die er bis zum Ende nicht verrät. Einzige Variante: Die Dauerfolter ersetzt den Dauer-Sexualverkehr. Schon sieht sich der große Stoff der Evangelien aufgelöst in eine blutrote, lebensschwarze Messe – in den Stationen der Gewalt ebenso seriell wie die lateinischen Messen, die Gibson vor jedem Drehtag mit seinen Komparsen abgehalten hat. Womit der Regisseur und Produzent die Doppelmoral geradezu unchristlich auf die Spitze treibt: Mit dem Gebet holte er sich täglich die höheren Weihen für den selbstgewählten Auftrag, und nach dem Beten ging’s zum Schlachten, mit stundenlangen Wundaufbringungen durch die bestbezahlten Maskenbildner Hollywoods. Nur: Auch die Bethäuser, in die Gibson die Kinos des Planeten verwandeln will, werden unter dem Eindruck der „Passion Christi“ zu Schlachthäusern der Fantasie.

Und wie löst der antisemitische Christ Mel Gibson das Dilemma aller Fundamentalo-Christen: dass der Begründer seiner Religion Jude war? Seinen Herrn, der sich für die Sünden der Menschen opferte, mag er im Gewande des Sünders selber fanatisch verehren; dem Juden aber bringt er – seine eigene Hand schlägt einen Kreuzesnagel ein – ebenso fanatisch den Tod.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false