zum Hauptinhalt

Kultur: Im Schnellschuss

Die Berliner Side by Side Gallery zeigt die raren Fotografien von George Grosz.

Ein amerikanisches Magazin warnte vor dem „Monster“, das da aus Berlin nach New York gereist käme. Dabei war es ein ganz gewöhnlicher, mitunter etwas zorniger Mann, der im Sommer 1932 den Ozeandampfer „New York“ bestieg, um seinen fünfmonatigen Lehrauftrag an der Art Students League zu erfüllen.

Weshalb man George Grosz dort die Aktklasse gab? Seinen „monströsen“ Ruf hatte sich der 1893 geborene Künstler als Kopf der Berliner Dada-Bewegung erworben. Und natürlich mit seinen beißenden politischen Karikaturen zur Doppelmoral der Deutschen , die der Weimarer Republik zwischen den Weltkriegen als „Stützen der Gesellschaft“ dienten – ein unvergessliches Gemälde von 1926, mit dem Grosz gegen Kirche, Militär und andere Kriegsgewinnler wütete. Nacktheit ist auf seinen Bildern überwiegend ein Geschäft und die Entscheidung der Manhattener Kunstschule für ihn als Aktmallehrer ein kleines Rätsel.

Für den Künstler aber war es der Beginn einer großen Liebe. Er hatte sich schon für die Überfahrt präpariert. In Berlin erwarb Grosz eine Kleinbildkamera und wartete nicht einmal mehr die große Fahrt ab: Das erste Foto entstand schon an der Kaimauer, die auf seiner schwarzweißen Ansicht ins schier Unendliche zu driften scheint. Diesen ungewöhnlichen, klar von der künstlerischen Arbeit geschulten Blick behielt er bei, nahm den Mast des Schiffes mit allem Wirrwarr seiner Takelage schräg von unten auf oder fokussierte auf Po und Rücken jener entspannten Passagiere, die sich irgendwo auf dem Deck niederlassen.

200 Aufnahmen entstanden in kurzer Zeit. Ein knappes Viertel zeigt nun der Berliner Galerist Akim Monet. Verkäuflich in seiner Side by Side Gallery sind bloß zwei Zeichnungen von Grosz, die Fotos wollte er sichtbar machen, nachdem sie mehr als ein Jahrzehnt lang nicht ausgestellt waren. Dabei gibt es keine anderen Fotografien von Grosz, der schon im Herbst 1932 nach Deutschland zurückkehrte. Doch schon da war er fest entschlossen, wieder in die USA zu gehen. Sein Lehrauftrag lief weiter, das politische Klima in Deutschland schlug um. Grosz ging 1933 im richtigen Moment: Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurden seine Bilder verbrannt oder ins Ausland verramscht. Doch der Zauber der ersten Ankunft wiederholt sich nicht, der Künstler ließ den Fotos vom Jahr zuvor keine weiteren Aufnahmen folgen.

Um so wichtiger war es, dass Ralph Jentsch – der nicht erst seit seiner Aufdeckung der Fälschungen von Wolfgang Beltracchi einen hervorragenden Ruf als Kunstexperte genießt – das Konvolut dem Nachlass von Grosz wieder einverleibt hat. Jentsch betreut seit Langem das Erbe des 1959 verstorbenen Künstlers. Mit dem Kunsthändler, der die Kontaktabzüge aufbewahrte, musste er zäh verhandeln. Gleichzeitig hat er viel recherchiert und kennt zahlreiche Geschichten rund um die Bilder. So kannte man den Namen Grosz auch auf dem Dampfer. Der Künstler hatte so preiswert wie möglich gebucht, der Kapitän bot ihm eine Kabine erster Klasse an. Grosz nahm an, trug seine Sachen aber bald wieder nach unten, weil er den Dünkel der Mitreisenden in der Luxusklasse nicht ertrug. Geknipst hat er sie nicht, dafür die Vergnügungen der Billigreisenden an Deck, was manchmal ziemlich improvisiert wirkt.

Nach der Ankunft in New York ging es weiter. Grosz lässt die Sehenswürdigkeiten aus und reduziert seine Motive auf schnelle Momente, die Menschen in der Metropole oder schräge Ecken mit ästhetischen Finessen, die man entdecken muss. „Hinter dem Sucher der objektiv aufzeichnenden Kamera wird für ihn die Wahl des Ausschnitts zum faszinierenden gestalterischen Moment“, schreibt Jentsch in einem Katalog, der 2002 zur letzten Ausstellung der Fotografien erschienen ist. „In Schnellschussaufnahmen vom fahrenden Doppeldeckerbus aus, oder Fotosequenzen von bewegten Subjekten hält Grosz die rastlose Metropole fest, als wolle er mit diesen Bildfolgen die Kinematik nachahmen.“ Und manchmal gelingt ihm ein echter Treffer wie am 5. Juni, als er Max Schmeling beim Schauboxen in Kingston in einer bewegten Szene festhalten kann.

Im Übrigen lief der Künstler nicht mehr zu alter Form auf. Grosz blieb in New York mäßig bekannt, in seinem Spätwerk nahm der politische Inhalt ab, der dekorative Duktus zu. Das gipfelte in zarten Stillleben, Akten und Landschaften, die der Künstler für seine anspruchsvolleren Sujets hielt. Amerika, das sich anfangs so fürchtete, hatte George Grosz gezähmt.

Side by Side Gallery, Potsdamer Str. 81b (ehemaliges Tagesspiegel-Gelände); bis 19.3. Mi–Sa 12–18 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false